Sonnenaufgang am Strand. Eine kleine Brandung rollt auf den
Sand. Die Luft ist klar und kalt. Ich laufe die Wasserlinie entlang bis zum
Wendepunkt. Da sind zwei Ulmen (Ulmus), deren Stämme sich nah am Ufer einander
zuneigen und die wie ein Tor sind, durch das ich schreite. Auf dem Rückweg
treffe ich den Mann mit dem Collie, die Frau mit den zwei Dalmatinern, den Mann
mit dem alten Dackel, wir nicken uns zu und grüßen freundlich. Alle haben ein
Lächeln auf dem Gesicht und scheinen sehr glücklich zu sein. Ich schaue mich
um. Noch sind erst wenige Menschen unterwegs und sie leuchten hell im
Morgenlicht. Irgendwie merkwürdig. Ich denke an die Filme, die ich zu diesem
Thema kenne, die Körperfresser, Seelen und so. Hat es mich auch schon erwischt?
Fühlt sich alles ganz normal an in mir, oder? Ok, vielleicht doch etwas anders als sonst: ich fühle mich wie eine Feder und das Laufen geht so leicht. Als ich um die letzte Kurve biege,
blendet mich die tief stehende Sonne. Ich renne blind ins Gold.
Mittwoch, 30. Oktober 2013
Montag, 28. Oktober 2013
delete!
Beim Anblick der acht Meter langen Schlange und ihren
behäbigen Bewegungen um einen toten Baum herum denke ich, es ist Zeit für eine
Häutung. Ich bin zwar immer gut gewesen im Abstreifen von Vergangenheit, merke
jedoch, dass mein nächster Schritt ein gewaltiger wird. Er soll Dekaden von
Mustern löschen. Ich will das, aber in meinen Träumen werde ich dafür hart
bestraft. Mein träges Gehirn will weiter auf dem alten Kanal senden und sich
nicht meiner Ansage unterwerfen. Es wehrt sich mit dummen, leicht
durchschaubaren Konventionen, die es wie Dreck auf mich schleudert. Auch von
meinem vegetativen Nervensystem ergreift es Besitz, dort hat es wirklich nichts
zu suchen. Jede Nacht ist eine Tortur und ich sterbe auf verschiedene Arten.
Tröstend ist der Schmerz, mein treuer Freund in allen Gefahren, mein Garant für
das Wahrhaftige. Dem Gehirn verabreiche ich eine Tinktur aus Gingko (Gingko
biloba), sie wirkt gefäßerweiternd, insbesondere im Kopf.
Freitag, 25. Oktober 2013
ohne Sauerstoff
Gestern Nacht wurde ich erschossen. Von einem Mann in einem
Büro. Kurz vorher habe ich Reinhold Messner getroffen. Er schaute sich meine
Sammlung an und meinte sie wäre gut zusammengestellt, eher intuitiv als
systematisch aber durchaus nachvollziehbar. Irgendwie wollte ich Messner schon
immer treffen und bin froh, dass ich es kurz vor meinem Abgang noch geschafft
habe. Durch seine Festungen bin ich getourt: Firmian, Ortles, Dolomites und
natürlich Juval. Den Mythos Berg, die Auseinandersetzung Mensch-Berg und das
Ende der Welt habe ich total verinnerlicht. Mich haben Messners Sammlungen
nicht endgültig überzeugt, auf den Enzianwiesen (Gentiana) zu viele
Gebetsfähnchen für meinen Geschmack. Ich bin aufgewacht, als die Kugel in
meinen Körper eindrang und keuchte nach Luft. Wie Messner auf dem Everest.
Donnerstag, 24. Oktober 2013
Traum oder
nicht Traum, das ist hier die Frage. Andi macht Experimente,
ist mir egal, seine Stimme klingt wie Musik. Er war so lange im All und ich war
hier und habe mich um meine Pflanzen gekümmert. Doch meine Wahrnehmung ist mir
nicht geheuer, es geschehen Dinge wie sonst nur im Traum: Bälle schweben in der
Luft, Elstern groß wie Nonnen, Kastanien gehen in Deckung, Nickende Disteln
(Carduus nutans) werfen stachlige Kugeln. Spätestens jetzt müsste mich mein
Wächter wecken, denn er ist wie ich auf die Flora spezialisiert. Ich glaube,
Andi hat auch ein Auge auf meinen Wächter geworfen, das genügt, um ihn für
immer für sich zu gewinnen. Eigentlich bräuchte er das nicht, weil ich ihm
dieses Mal folgen werde, egal in welche Dimension.
Sonntag, 20. Oktober 2013
Abbitte III
Der Himmelskörper ist ein unbekanntes Flugobjekt. Es nähert
sich dem Siebengebirge, dann landet es im Silbermoos (Bryum argenteum) und
Andi steigt aus. Im Traum betrachte ich ihn, er sieht ganz anders aus, aber es
besteht kein Zweifel. Ich will auf keinen Fall aufwachen. Andi geht zum Engel
und sagt du bist erlöst wir übernehmen das hier. Nach der Läuterung
meines Körpers durch die Elemente und meines symbiotischen Verweilens im Wald
checkt Andi mein biologisches Design und gibt ein positives Feedback. Mein System nutzt die vorhandenen Kräfte und bekämpft
sie nicht. Alle meine Funktionen reagieren spontan, insbesondere als Andi mich
berührt und meine Haut vibriert als habe sie einen kleinen elektrischen Schlag
erhalten. Er flüstert mir ins Ohr es sieht gut aus wir brauchen dich
wahrscheinlich gar nicht neu programmieren. Heißt das, das Glück das ich fühle
ist echt?
Samstag, 19. Oktober 2013
Abbitte II
Der Engel vergibt mir und schickt Sturm. Im Wald prasselt es
wie verrückt. Alles kommt runter. Ich stehe hier und halte das aus. Auch das
Gespött der Vorbeiwanderer. Die gucken und grinsen. Einer bietet mir Wasser an.
Ich trinke nicht, bedanke mich aber artig. Nach dem Wind wütet Feuer. Die Hitze
ist heikel, aber ich verbrenne nicht, denn der Engel ist gnädig und gießt
ziemlich schnell Regen hinterher. Die Erde, auf der ich stehe, dampft. Ich
stehe, bis es dunkel wird, dann lege ich mich auf das Laub und versuche,
zwischen den Zweigen der Eiben (Taxus
baccata) die Sterne zu erkennen. Mein Herz pocht laut. Ich weiß nicht, was
als nächstes kommt. Also warte ich. Ich warte einfach, bis irgendetwas oder
irgendwer meine Position verändert. Wo ist eigentlich Siegfried? Dann schlafe
ich ein und träume von einem glühenden Himmelskörper, der sich der Erde nähert.
Freitag, 18. Oktober 2013
Abbitte
Unmittelbar nach dem Sonnenuntergang fliegen heute
Fledermäuse ihren Zickzackkurs. Sie steigen aus den dunklen Bäumen empor und
sind gegen den Abendhimmel gut zu erkennen. Ihren Flug zu verfolgen macht mich
schwindlig. Ich bin schon den ganzen Tag wacklig auf den Beinen, vielleicht
liegt es an meiner Verabredung heute Nacht. Siegfried, Held und Vampir, will
mir im Wald etwas zeigen. Ich gehe nachts nicht so gerne in den Wald, auch wenn
mir mit ihm nix passieren kann. Die Eicheln prasseln durch die Äste wie kleine
Kampfgeschwader, das Laub raschelt, Äste knacken. Noch hat Siegfried nicht mein
Blut getrunken, obwohl das irgendwie in der Luft liegt. Es ist fast Vollmond
und silbern glitzern die feuchten Stämme der Buchen (Fagaceae). Wir treffen uns
an einem alten Gemäuer, er nimmt meine Hand. Komm. Was kann denn hier
interessant für mich sein, denke ich. Wir stehen vor einem Engel aus Stein,
seine Augen sehen mich an. Er kann dich verstehen, sagt Siegfried, bitte ihn um
etwas. Ich bitte ihn um Vergebung.
Donnerstag, 17. Oktober 2013
the talker
Er fährt Fahrrad und spricht. Laut. Englisch, Französisch
und Deutsch. Er radelt am Rhein entlang und kommt mir beim Laufen entgegen.
Beim ersten Mal bin ich erschrocken, aber er hat keinen bösen Blick und seither
bin ich gewappnet. Also eigentlich flucht er, son of a bitch, merde und so. Was mich
wundert ist, dass ich ihm jedes Mal begegne, wenn ich laufe, zu völlig
unterschiedlichen Zeiten. Ich erkenne ihn von Weitem und denke Ah der talker,
er schaut mich nicht an. Seine Welt muss in Aufruhr sein, denn er wettert und
schimpft unentwegt, gegen den amerikanischen Präsidenten, gegen französische
Ölfirmen, gegen das deutsche Kabinett. Ich fange immer nur Bruchstücke auf,
habe mir aber angewöhnt, mich darauf zu konzentrieren was er sagt. Wo er wohl
hinfährt? Andere Männer in seinem Alter fahren von Walnussbaum zu
Walnussbaum (Juglans regia), einige haben Elektroräder, damit sie gegen den
Herbstwind ankommen. Ich hasse es, von einem Elektrorad überholt zu werden. Sie
täuschen Sportlichkeit vor, der bis in die Gesichtszüge reicht. Was ist denn
das für ein Triumpf bitte schön?
Dienstag, 15. Oktober 2013
Mond in den Augen
In Vorbereitung auf den Vollmond poliere ich mein Teleskop.
Auch wenn ich schon tausendmal auf die Vorderseite des Mondes geblickt habe und
die Landeplätze von Apollo 11, 12, 14, 15, 16 und 17 in- und auswendig kenne,
stimmt mich der Anblick der ausgetrockneten Meere ruhig. Mein Blick bleibt im
Mare Nectaris haften und saugt ein wenig. Ich stopfe die Bilder in mein
Gedächtnis wie eine Honigbiene den Pollen des Bittersüßen Nachtschattens
(Solanum dulcamara) in ihre Säckchen. Mein Teleskop reicht nur bis zum Mond, zu
schwach zum Planetenhopping. Für den Mars bräuchte ich mindestens das Hubble. Plötzlich
empfange ich ein schwaches Signal von Andi und mein Herzschlag setzt für einen
Moment aus. Er ist sehr weit weg, doch das ist näher als meistens. Mit Realität
hat das noch nichts zu tun, oder Einstein?
Montag, 14. Oktober 2013
collectors pride
So viel habe ich gesammelt und gehortet, gezählt, gemessen,
kartiert, fotografiert.... die kleinsten Teilchen mit der größten Energie. Die Regale und Lager quellen über. Ich bin so
stolz. Meine größte Leidenschaft ist zu wissen was ich alles habe. Am Tag fühle
ich mich sicher. Nachts ist das schon anders. Da ist die Dunkelheit plötzlich
so viel größer als vorher alles Helle. Dieser Stern blendet mich. Er ist ein
Strohhalm (stipula). Er täuscht mich über das was ich wirklich will. Also mache ich
erst einmal gar nix. Ist aber auch blöd. Außerdem geht das gar nicht, nix
machen. Die Gedanken versuchen mit Gewalt, in die Dunkelkammer zu gelangen und
sie entdecken jede kleine Ritze. Die sind verlockend, sie riechen nach
Abenteuer und nach weicher Landung. Ich vermisse dich Andi.
Mittwoch, 9. Oktober 2013
Marroni in Chianti
Die stachligen Kugeln prasseln auf mich nieder, kleine Tropfen Blut auf meiner Haut. Trotz des Schmerzes muss ich lachen und schaue mich um, wo Blut ist kann Siegfried der Held nicht weit sein. Da kommt er schon. Hat sich hinter dem Buchs (Buxus sempervirens) versteckt. Er hilft mir Marroni sammeln - bei ihm geht das blitzschnell - und trägt das Körbchen in meine Küche. Die Kastanien kochen in Chianti, der Wein verdampft, nur kleine Salzränder kriechen am Topfinneren hoch. Das Fleisch ist rot und weich, duftet verführerisch und schmilzt auf der Zunge. Siegfried hält sich zurück, sein Hunger ist ein anderer, doch er wartet noch. Wartet bis ich betrunken bin vom Rest des Weins und für alles bereit.
Montag, 7. Oktober 2013
Der stille König
Während also meine Tochter und ihre Freundin down under die Weite suchen und um die halbe Welt nölen, dass ein paar Dinge nicht so sind wie sie sich das vorgestellt haben, finde ich unerwartet einen Schatz vor meiner Haustür. Also nicht direkt auf der Matte sondern jenseits des Siebengebirges im Sauerland, wo bei Lüdenscheid ein kleines Naturschutzgebiet namens Stilleking liegt, ganz bezaubernd. Pinke Punkte markieren den Weg, wahrscheinlich von kichernden Scoutmädchen gelegt, die in diesem Abschnitt mal Freiwilligendienst hatten. Die finden es wahrscheinlich auch eher eklig, dass eine der hier besonders geschützten Pflanzen der sowas von oute behaarte Ginster (Genista pilosa) ist. Die sauerländer Männer laufen mit gezückten Messern durch den Wald. Ich habe keine Angst, denn an meiner Seite ist auch einer. Ein stiller König.
Freitag, 4. Oktober 2013
Jetzt ist sie weg
Abschied und Abgrenzung, beide erzeugen leichte Risse in meiner Hülle. Was innen brodelt will unbedingt raus doch ich lasse es nicht zu. Erspare mir Tränen durch Abwesenheit. Mein Gehirn lulle ich mit einem lang erprobten Mantra ein, meinen Körper schicke ich raus in den Wald. Alles was ich kenne ist jetzt willkommen, fügt sich geschmeidig ein ohne mich zu bedrohen oder zu überraschen. Bloß nichts Unvorhergesehenes. Mein Maß ist voll. Das war nicht immer so, im Gegenteil, ich konnte den Hals nicht vollkriegen, Grenzen austesten, volles Risiko, bis über die Schmerzgrenze. Irgendwie ist die Wut weg. Meine Güte wie lange war sie mein Antrieb. Dieser kochende Zorn gegen die Langeweile und nur ab und zu ein paar Verbündete. Versuche mich in Kontemplation und fixiere das giftige Leuchten des Fliegenpilzes (amanita muscaria).
Dienstag, 1. Oktober 2013
Yeah Geduld!
Zehn Jahre braucht ein Nussbaum für seine ersten Nüsse, bei Oliven (Oleaceae) ist es ähnlich. Gut Ding will Weile haben. Pflanzenanalogien auf das eigene Leben anzuwenden ist der totale Schwachsinn. Was allein zählt ist die Entropie. Wir sind Sternenstaub und werden es wieder werden, also warum überhaupt geduldig auf etwas warten? Fängt das echte Leben früher an wenn wir geduldig darauf warten? Oder später aber dann garantiert? Das ist wie jede Nacht in den Himmel schauen und auf eine Nova zu warten. Das mache ich nicht. Obwohl ich gerne mal eine sehen würde. Eine wunderbar leuchtende Lichtgestalt, in die ich einfach alles hineininterpretieren kann. Besser wäre natürlich, die Nova würde mich berühren, das wäre einfach super. Auch wenn ich verbrenne.
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