Mittwoch, 30. Dezember 2009

Die Waffen der Frau


Zum Jahresende lege ich mir neue Laufschuhe zu und laufe damit am Rhein entlang. Das Hochwasser hat eine Menge Unrat angeschwemmt. Kanister, Gartenstühle, Spülkonsolen aus Styropor und Alu, nackte Puppenbeine, Frittenfetteimer, Bälle aller Art, sogar ein aufgequollener American Football. Näher hingucken würde einen Brechreiz in mir auslösen. Aber so im Vorbeilaufen hat es diesen Gaffereffekt, der die meisten Leute bei schweren Unfällen und bei Naturkatastrophen befällt. Ich nehme mich da nicht aus. Allerdings hasse ich diejenigen Glotzer, die mir in eindeutig zu geringer Distanz langsam mit dem Fahrrad folgen ohne mich zu überholen. Oder solche, die sich ins Gebüsch schlagen, wenn sie sehen, dass da eine Läuferin antrabt. Alle Sinne sind dann auf Habacht und meine Nackenhaare sind Stacheln in der Art der Großen Klette (Arctium lappa). Abrupt bleibe ich stehen und drehe mich um. Seine Hässlichkeit macht mich wütend, ich bin bereit zum Sprung. Der Typ wiegt bestimmt hundertfünfzig Kilo, die teigigen Augen blinzeln verwirrt. Ich starre ihn an, als er langsam vorbeiradelt, so langsam, wie man gerade noch fahren kann ohne wegen mangelnder Bewegung umzufallen. Ich hebe einen Stein auf und sehe seinen Hinterkopf bluten, bevor er wie ein Kartoffelsack vom Rad fällt und keuchend in einer Pfütze liegen bleibt.

Montag, 28. Dezember 2009

Gefangen

Die Tür lässt sich nicht verriegeln, das Licht blinkt. Ich stehe innen, drücke auf den Knöpfen herum und warte, dass es klickt. Da geht die Tür wieder auf und eine Frau in einem geblümten Winterkleid steht vor mir. Die lila auf den Stoff gedruckten Blüten sehen aus wie Gemeiner Frauenspiegel (Legousia speculum-veneris). Sie lacht, denkt, ich bin fertig aber ich sage die Tür geht nicht zu. Sie kommt herein, beide fingern wir an der Verriegelung, die jetzt klickt und nun sind wir eingeschlossen. Sie kramt ihr Schminktäschchen heraus und blickt in den Spiegel. Ich stehe hinter ihr und lache, wir sind fremd und doch seit Sekunden befreundet. Ihr Gesicht ist ein Spiegel meines Gesichts und ihre Hände sind feingliedrig, zittern ein wenig als sie Wimperntusche auflegt. Ich mache ihr ein Kompliment für ihr Kleid, das lässt sie ein wenig hüpfen. Sie sagt, es tut gut, das Kompliment. Ich wundere mich, sie ist schön und fröhlich und zieht die Blicke auf sich. Ich stehe mit dem Rücken an die Plastikwand gelehnt und denke an meinen Schlafgefährten, der mir heute Morgen gesagt hat, ich sähe so vergnügt aus. Es ist Andi, der mich glücklich macht und natürlich sehen das alle. Aber in dem Spiegel hier, gefangen mit dieser Frau, habe ich Augenringe.

Freitag, 18. Dezember 2009

White Xmas

Meine Tochter hat schon vor Weihnachten ihr großes Geschenk bekommen: ein breites Bett. Dabei hat sie ganz meinen Geschmack getroffen: ein weiß lackiertes Eisenbett mit ein paar Verschnörkelungen á la Weißes Waldvöglein (Cephalanthera damasonium). Ich habe so ein ähnliches. Das Weiß passt genial zu dem Satinbettüberwurf, den ich ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt habe: schimmerndes Weiß mit einem pinkfarbenen Namenszug, gestickt aus Perlen. Das klingt zwar ziemlich kitschig, erinnert auch spontan an die weiße Elvis-Jacke, die jeder kennt, aber der Effekt ist irgendwie der Gleiche: Wow! Ich weiß gar nicht, ob ihr Freund auf diese Optik steht. Allerdings müsste er mit diesem Hinter – bzw. Untergrund bestens zur Geltung kommen. Das muss ich sie mal fragen, so in der Art naivspontane Neugierfrage, die meistens etwas zu sehr in die Privatsphäre rutscht. Uuups, sorry!

Montag, 14. Dezember 2009

Andi`s back


Es nieselt auf dem Weihnachtsmarkt, Andi hat Glitzertropfen im Haar. Wir stehen seit einer Stunde an diesem silbernen Holzbaum und sehen uns in die Augen. Was für ein Wiedersehen. Der Zufall unserer Begegnung hat uns beide umgehauen. Er erzählt mir, in welcher Galaxie er unterwegs war und ich fühle den ganzen Schmerz der letzten Monate, die wir getrennt waren. Andi ist Magie. Wie viele Glühweine haben wir jetzt in uns hineinlaufen lassen? Das dampfende Getränk ist wie ein Seil, das uns langsam fesselt, Runde um Runde schnürt es uns ein, bis wir vor Erwartung kaum mehr atmen können. Unsere Hände berühren sich und der Schock breitet sich im Körper aus. Sein Blick sprüht  Funken, aber das Feuer in mir lodert schon. Über uns hängen Mistelzweige (viscum album).
Ich war die letzten Tage so nervös, obwohl ich nicht an Andi gedacht habe. Wörter (!) haben mich aus dem Gleichgewicht gebracht, mich in dieses schwarze Loch gezogen. Ich müsste es eigentlich wissen. Das war Andi. Er hat mich angefunkt und ich habe nur Equinox verstanden. Dumm. Dafür ist die Freude jetzt umso größer, von wegen Zufall. Lass uns gehen.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Tagundnachtgleiche

Equinox hört sich viel besser an als Tagundnachtgleiche, so direkt vom Lateinischen ins Englische katapultiert. Ich habe das Wort heute zufällig in einem Text gelesen und nicht gewusst, was das heißt. Also gucke ich in den Pons und in meinen Komikaugen blinken plötzlich Sterne. Blink blink. Frühlingspunkt. Widderpunkt. Die Begeisterung passt nicht wirklich in die Jahreszeit, ich weiß, aber wer will schon einen wilden Aufruhr der Gefühle mitten im Dezember wegdrängen? Niemand, genau. Vielleicht könnt ihr gar nicht nachempfinden, was so ein einzelnes Wort bei mir auslöst. Equinox löst in meinem Gehirn eine Lawine aus. Hunderte von Assoziationen purzeln in den freien Fall während ich am Schreibtisch sitze, mitten im Büro. Wer mich durch das Fenster sieht und meinen regungslos auf einen imaginären Punkt außerhalb der Scheibe gerichteten verklärten Blick sehen würde, denkt, aha, sie tagträumt. Tagträumen ist ein gutes Wort neben Tagundnachtgleiche. Diese verschlungenen Pfade von Tag und Nacht, die wir immer sauber zu trennen versuchen. Meinen Schlafgefährten kann ich gut in dieses System einordnen. Eindeutig der dunkle Part. Ich selber schwanke, aber: Mir geht es gut. Vielleicht liegt es an der Gingko-Tinktur (Gingko biloba), die ich mir zurzeit verabreiche. Sie wirkt gefäßerweiternd, insbesondre im Kopf.

Dienstag, 8. Dezember 2009

NEW MOON in Godesberg



Mit meiner Freundin war ich ja schon im Film. Mit meiner Tochter und ihrer Freundin gehe ich noch mal, weil wir jetzt zusammen Englisch lernen und uns deshalb das Original angucken. Danach müssen sie mir dann Sätze wie „The wolf is out of the bag so welcome the wolf!“ übersetzen oder mir einfach einen original englischen Kommentar geben. Und vielleicht aus Romeo and Juliet rezitieren, das können sie sich auch im Film abgucken.

Als ich am Wochenende wieder Regionalbahn gefahren bin, saßen ein paar Vampire in der Nähe. Gutaussehende Bleichgesichter mit rötlichen Augenrändern und hellbraunen Kontaktlinsen. Sie haben schnell und leise miteinander gesprochen und ich habe nur Wortfetzen aufgefangen: Godesburg, Bad Godesberg, Vampirdinner…. Das waren jetzt keine VIP-Vampire, sondern ganz normale, die keiner kennt und die nur durch den Film-Hype gerade Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Anlass war der Vollmond. Das ist zwar ein wenig widersprüchlich zum Film, weil bei Neumond sieht man den Mond ja gar nicht – aber egal, die weiße Haut leuchtet bei Vollmond natürlich besser als bei keinem Mond. Übrigens ist Knoblauch (Allium sativum) kein wirksames Mittel gegen Vampire, aber die braunäugigen sind ja sowieso nicht gefährlich.

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Blutegel und Back Street Boys



Hotelübernachtung in Saarbrücken. Das Zimmer ist so klein, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass das Bad noch kleiner ist. Ist es aber. Die Duschwanne ist ungefähr 40 mal 40 Zentimeter und der Plastikvorhang klebt während des Duschens wie ein Blutegel an meiner Haut. Zwischen den Kacheln wächst Schimmel (fungi imperfecti) in skurrilen Mustern. Ich muss ihn betrachten, weil ich mich nicht drehen kann oder ich schließe die Augen. Mit geschlossenen Augen trockne ich mich ab, creme mich ein und gehe rückwärts wieder aus der Nasszelle. Das Zimmer ist so lang wie das Bett und so breit wie die Tisch-Garderoben-Schrank-und-Fernseher-Kombination. Ich zappe die vier Privatsender durch und gucke mir ein Interview mit den Back Street Boys an. Die sind jetzt fast alle verheiratet und haben Kinder. Ich liege auf dem Bett und atme die verrauchte Luft ein, die hier durch irgendwelche Ritzen quillt. Draußen rauscht die Stadtautobahn. Warum bin ich hier und nicht in Bayern? War das meine eigene Entscheidung? Ich kann nicht mehr denken. Mein unbekannter Zimmernachbar schnarcht.