Samstag, 30. April 2011

keltisch

In meiner Heimat im Süden besinnen sich die Menschen auf ihre keltische Herkunft. Das ist zwar nicht so ganz einfach, weil es keine Überlieferungen, nur ein paar mit Runen versehene Steintafeln und einige Orte mit keltischen Namen gibt, Laufen, Britzingen und Ballrechten-Dottingen. Dort gibt es in den Weinbergen auch historische Trockenmauern und ich werde nicht müde, die vor kurzem aufs Feinste restaurierten sandsteinfarbenen Steinplatten hoch-und wieder herunterzusteigen und die artenreiche  Trockenpflanzenwelt  einschließlich des Dreifinger-Steinbrechs (Saxifraga tridactylites) zu bewundern. Meine Tochter zieht ein Gesicht ob meiner Besessenheit, entdeckt aber dann die Telefonnummer, die an einer Tafel steht und die sie gebührenfrei anrufen kann, um sich den wissenschaftlichen Renovierungsprozess in allen Einzelheiten von einer angenehmen Frauenstimme mit leicht südbadischem Akzent erklären zu lassen. Mit dem Mobiltelefon am Ohr locker an einen Weinstock gelehnt lässt sich dieser Ausflug in die Natur viel cooler an.

Sonntag, 17. April 2011

sie/es

Ich weine nicht beim Abschied sondern beim Wiedersehen. Habe ich meine Tochter und ihre Freundin eine Weile nicht gesehen und treffe ich sie dann auf dem Bahnsteig, sehe schon aus der Ferne ihre glänzenden Haare und ihren beschwingten Gang, ihre Blicke auf alles Mögliche gerichtet, aber noch nicht auf mich und über irgendeine Kleinigkeit lachend, die ich nicht erfahren werde, schießen mir Tränen in die Augen und meine Lippen zittern vor Glück und Rührung, dass dieses Wesen dort sozusagen ein Teil von mir ist, so fühlt es sich wenigstens an, und dass es mich gleich umarmen und sich über mich lustig machen wird, weil ich aus Freude heule es wiederzusehen und mich dabei nicht schäme ein tränendes Herz (Lamprocapnos spectabilis) zu haben.

Mittwoch, 13. April 2011

Lone Star

Nach fast tausend Seiten melancholischem in-den-Süden-reiten bin ich bereit für die mexikanische Bar. Ich erinnere mich, hier schon einmal hängengeblieben zu sein, obwohl sie zugig ist wie ein alter Stall. Der Barmann mixt Drinks und die Drinks sind gut, es gibt Watermelon Men und Strawberry Margeritas, die beiden verstehen sich gut. Es macht nichts wenn sie sich jahrelang nicht sehen, es kommt auf den Augenblick an und auf die dann gemeinsam verbrachte Zeit, von der es früher mehr gab. Da haben sie versucht, herauszufinden, was Creosote (Larrea tridentata) ist und ihnen ist gemeinsam schlecht geworden. Sie haben in den Staub gespuckt und sich an den Dornen die Haut aufgeritzt. Dann darüber gestritten ob es krank ist wenn der Schmerz sich angenehm anfühlt. Über die Ästhetik eines dicken roten Blutstropfens auf der trockenen Erde. Über den richtigen Ausdruck wie sich altes Leder anfühlt. Über die Möglichkeit eines kleinen einsamen Sternchens am Horizont.

Dienstag, 12. April 2011

blau

Andi ist bzw war Gagarin. Er ist zwar schon viel früher durch den Weltraum geflogen, aber da hat es ihm noch niemand geglaubt. Er sagt, er wäre immer noch relativ ungestört da oben, so viele schaffen es ja auch nicht. Dem Blau der Erde entkommt er nicht, sie zieht ihn an und bis heute weiß er nicht woran das liegt, obwohl er all diese Rotations- und Atmosphärengesetze kennt. Er lacht und wirft sein Haar nach hinten. Vielleicht ist es der Äther, der das Blau so intensiv macht, dass es blendet. Auch Andi will diesem Sog nicht ausweichen, denn das unkontrollierte Trudeln und das eiernde Driften in einem regenbogenfarbenen Tunnel ist so hippie wie er es nie erlebt hat. In den Siebzigern war er wo ganz anders. Und wieder fragt er mich ob ich nicht mitkommen will. Es gibt silberne Glockenblumen (Campanula) lockt er mich.

Donnerstag, 7. April 2011

licht

In Luxembourg leben die Menschen in Höhlen, sogar das Hotel ist in einem Fels. Nachts ist es stockdunkel und mucksmäuschenstill, manchmal tröpfelt Wasser vom Stein. Ich habe mich zuerst gefürchtet, dann aber sehr sicher gefühlt. Wenn Gefahr droht, aus der Luft oder von der Straße, kann sich jede sofort in eine Höhle zurückziehen und abwarten, bis die Luft wieder rein ist. So richtig rein wird sie zwar nie wieder, auch nicht in Luxemburg, aber ich meine unbedenklich fürs Weiterleben. Die Luxemburgerinnen sind keine Höhlenmenschen im Wortsinne, dazu sind sie viel zu zivilisiert, zu modern und zu gutverdienend. Sie haben sich mit ungewohntem Luxus umgeben, so zum Beispiel mit Fahrstühlen, die zwischen den Höhlen rauf und runter gleiten. Du gehst unten in die Eingangshöhle, gleitest durch den Fels und kommst oben auf einem Granitplateau an, das von blühenden Kastanien (Castanea) umsäumt ist. Mir gefällt es dort.