Dienstag, 31. Dezember 2013

kurztripp_11 sec.

In der Nacht schickt Andi Zeichen vom Himmel, monströse Übertreibungen neben all den anderen Lichtexplosionen, eigenwillige exterrestrische Installationen, die nur ich lesen kann, weil ich den Code kenne. Wäre ich eine Blitzableiterin würde ich das Feuer direkt in die fließende Lava von Mordor leiten, wo sich neue gigantische Ausbrüche zusammenbrauen. Mein bescheidener irdischer Umgang mit der Glut erlaubt mir aber nur ein symbolisches Höllenfeuer, also gehe ich ans Rheinufer zu den Freaks mit den brennenden Öltonnen und schmeiße meinen Krempel vom vergangenen Jahr hinein. Der verschmort mit dem restlichen Müll in stinkendem Qualm zu sauberer Asche. Kurz reingespuckt und sich gegenseitig Glück gewünscht. Auf den kahlen Flächen unserer Seelen kann jetzt wieder neues Grün sprießen, haha Pathos, kennt man ja aus dem Fernsehen: Vulkan bricht aus_macht die ganze Vegetation kaputt_erste Keimlinge brechen durch die schwarze Kruste_ die Wüste lebt. Es ist die Wölfin Lupine (Lupinus), die sich zuerst aus ihrer Höhle ins Freie gräbt und das Terrain beherrscht, eine Königin über verbranntes Land.

Sonntag, 29. Dezember 2013

James


In meinem Herz singt eine Nachtigall, etwas schräg, sie hat einen gebrochenen Flügel. Wenn sie im Morgengrauen durch die dunklen Hohlwege im Siebengebirge fliegt, dann ist sie ein wirbelnder Schatten mit einer großartigen Stimme, sie streift die umgekippten Silberbäume (Sorbus aria), taumelt, rafft sich wieder auf, hebt talwärts ab und schafft es gerade noch an mein Fenster. Ich nehme sie auf, schiene den Flügel, glätte die Federn und setze sie behutsam auf meine Frisierkommode. Ihre Augen glänzen im Spiegel, aus ihrer Kehle dingt ein heiserer Ton, ihre Krallen ritzen kleine Kratzer in den Marmor. Im Schein der Kerze lese ich James, ist das etwa ihr Name? Ich dachte alle Nachtigallen wären Mädchen, aber okay, es ist eine stereotype Annahme, dass die dann auch wirklich weibliche Namen tragen. James ist eigentlich ganz schön, irgendwie britisches Understatement, wer kann schon von sich sagen, hey ich kenne eine Nachtigall, die heißt James und singt in meinem Herz.


Freitag, 27. Dezember 2013

für immer


Der Sicherheitschef der Adelaider Shoppingmall hat meine Tochter, ihre Freundin und die anderen Durchreisenden zu seiner Party eingeladen. Er hat ein Haus inmitten eines Zürgelbaum-Hains (Celtis australis), die Blüten der Bäume sind eher unscheinbar, polygam und ihre kugeligen Steinfrüchte essbar. Eine Schale Zürgelobst, ein großer Kühlschrank mit Bier und die Securitykollegen stehen auf der Veranda. Im Wohnzimmer stellt der Chef die Laser und Nebelmaschinen an, es ist stockdunkel und wo die Musik herkommt, kann man nicht erkennen. Dann wiegen sich alle im Wummern der Bässe, brüllen sich in ihren jeweiligen Sprachen Trinksprüche zu und lassen es so richtig krachen. Im diesem Haus fühlen sich alle sicher. Sie denken nicht einmal daran, dass der Nebel in Anlehnung an seine amerikanische Hollywoodtradition einen Stoff in sich tragen könnte, den sie jetzt in jede ihrer Zellen aufnehmen, der sich auf ihre Haut legt und sie seidig schimmern lässt, der in ihr Herz sickert und es auf immer mit diesem wunderschönen Land verbindet. Sie werden sich Jahre danach immer wieder wundern, welcher Art ihre Träume sind, so intensiv und real, als wären sie alle noch dort, tanzend im Wohnzimmer des Sicherheitschefs in Adelaide.

Mittwoch, 25. Dezember 2013

fake


Mein Schlafgefährte schenkt mir ein fake Igelfell zu dem fake Fledermausfell vom letzten Jahr. Es sind aus Wolle gewirkte Kunstobjekte einer japanischen Filzerin, bei der er auch das Atmen lernt. Seit er sowohl die Theorie als auch die traditionelle Beherrschung von Luftströmungen kennt, hat sich seine Gestalt verändert, sogar im Schlaf. Gerade wie ein Pfeil liegt er auf seiner Seite und gönnt uns höchstens mal eine kleine paradoxe Winkelabweichung nach Archer, ich weiß nicht was ich auf Dauer davon halte. Richtig schön jedoch finde ich die Wollprodukte von fake Tierfellen, sie haben etwas Archaisches und sind gleichzeitig Pop. Mein neues fake Igelfell zum Beispiel ist dem Winterkleid des ostmongolischen Steppenigels nachempfunden und ich könnte mir vorstellen, dass ich nächstes Jahr vielleicht ein fake Wolfsfell geschenkt bekomme, denn ich lese gerade dieses tausendseitige Buch über die Ausrottung der chinesischen Wölfe und so ein japanisches Kunstwerk ist ja immer auch ein politisches Statement. Während ich mich also nachts nach meinem Gefährten ausrichte und der ersehnte Schlaf ausbleibt, zähle ich Wolfsaugen (Lycopsis arvensis) in fake Schafspelzen.

Samstag, 21. Dezember 2013

ExZombie


Ich kenne einen ExBanker mit dem bin ich im Café und trinke Cappuccino. Wir reden über Geld. Seit er nicht mehr in der Bank ist können wir offen sprechen. Er kennt alle Tricks auch die nicht monetären. Von ihm weiß ich zum Beispiel wie man Designeranzüge behandelt ohne sie gleich jedes Mal in die chemische Reinigung zu bringen oder wie man gebrochene Herzen wieder zusammenflickt. Die Mandelkekse auf dem Tresen blinzeln mir zu und ich gebe dem Kellner ein Zeichen. Er serviert das Gebäck auf einer filigranen Papiermanschette und es ist so unglaublich lecker. Ich weiß nicht wie die das machen, ich habe schon versucht es nachzubacken aber es gelingt mir nicht. Die Mandeln schmelzen auf meiner Zunge, ich schaue den ExBanker an und denke wie gut und relaxed er aussieht seit er nicht mehr in der Bank ist, nicht mehr wie eine atmende Wachspuppe mit der blühenden Pracht-Nelke (Dianthus superbus) auf dem Pad. Früher haben wir Zombie- und Endzeitfilme geguckt, jetzt sitzen wir einfach nur hier und lassen es dunkel werden.

Dienstag, 17. Dezember 2013

welcome


In meinen Traum trottet ein blaues Schaf, das sagt es sei mein wahres Ich. Da ich schon länger auf der Suche nach meinem wahren Ich bin und dieses Schaf ganz niedlich aussieht bin ich mit dem ersten Eindruck zufrieden. Den ganzen Traum hindurch steht es dann aber einfach nur da und sagt und macht weiter nichts. Mein schlaftrunkenes und mir in letzter Zeit eher feindlich gesinntes Gehirn kann sich die völlig überflüssige Bemerkung nicht verkneifen dass es keine blauen Schafe gibt. Wenn das da mein wahres Ich sein soll muss ich es also interpretieren. Natürlich! Darauf wartet es, deshalb macht es auch nichts, damit ich nicht vorschnell auf dumme Gedanken komme. Meine Traumlogik redet mir ein ich soll es so nehmen wie es kommt, ein blaues Schaf sei schließlich einzigartig und schon deshalb akzeptabel, andere hätten weiße Schafe oder braune Kühe oder zweifarbige Eichen (Quercus bicolor) als wahres Ich, wie beliebig sei das denn. Um sicher zu gehen und um bloß nichts falsch zu machen frage ich noch mein Herz, es flüstert es findet das blaue Schaf echt süß. Okay, sage ich zu meinem wahren Ich, du kannst erstmal bleiben.

Sonntag, 15. Dezember 2013

taking you higher


Andi verabschiedet sich für eine Weile auf seinen Heimatplaneten, nicht dass die dort auch Weihnachten im Kreis ihrer Lieben feiern, eher das Gegenteil angesichts ihrer hochentwickelten nichtstofflichen Wesensart wenn sie unter sich sind, aber dieser inflationäre irdische Hang zur Lichterkette stört seine Beobachtungen am Sternenhimmel. Und obwohl ich mich mit dem Gedanken an einen intergalaktischen Ausflug schon angefreundet habe, bleibe ich doch lieber hier und extrahiere aus meiner stark herzgiftigen Christrose (Helleborus niger) Saponine, Protoanemonine und Helleborine für meine Sammlung. Andi sagt er wird nicht lange weg sein, das ist zwar aufgrund unseres sehr unterschiedlichen Empfindens für die vergehende Zeit eine sehr vage Angabe, doch ich glaube ihm. Er hat mir für mein Mobiltelefon eine App entworfen, die kann meine Sehnsucht messen und den Überschuss an seine Galaxie senden. Die ist auf keiner Karte verzeichnet und damit ich einen Bezugspunkt am nächtlichen Himmel habe, zeigt er mir die ungefähre Richtung. Seine Fürsorge rührt mich, irgendwie ist er trauriger als ich, auch wenn er das nie zugeben würde. Ich schaue in seine Sternenaugen und lächle ihn an.

Freitag, 13. Dezember 2013

Freiheit


Meine Tochter und ihre Freundin habe ich noch nie so glücklich erlebt. Sie sagen es ist die Freiheit. Sie fühlen sich mit ihren schlanken, stromlinienförmigen Körpern wie australische Schwalben, die sich von den aufsteigenden warmen Luftmassen über Adelaide tragen lassen, vergnügt ihre schrillen Laute ausstoßen und sich vor lauter Übermut im Steilflug fast ins Meer stürzen. Sie haben aber auch wirklich Glück oder vielleicht ist es normal dort, dass ihr Wille ihr Handeln bestimmt und ihr Wille aufgrund ihrer Persönlichkeit ein angenehmer ist und ihre Persönlichkeit durch diese positive Feedbackschleife wächst und reift und Party feiert. Meine Tochter sagt, die Australier sind so nett und freundlich, dass einfach alles möglich ist. Sie ist ja jetzt auch nach einer Woche Einarbeitung Store-Manager in einem CD-Laden, verdient einen Haufen australische Dollars und verschwendet keinen Gedanken daran, dass die empfundene Freiheit eventuell eine Unerkennbarkeit von Freiheitsbeschränkungen ist. Genauswenig, wie sie den dort wuchernden Mimosensträuchern (Mimosa pudica), auch schamhafte Sinnpflanzen genannt, Beachtung schenkt. Wozu auch?



Mittwoch, 11. Dezember 2013

warm, wärmer


Penelope und ich laufen uns bei den Kletterfelsen am Stenzelberg sozusagen zufällig in die Arme. Sie sieht wunderschön aus mit ihrem goldenen Haar und den leuchtenden Augen, fast wie eine mystische siebengebirgische Erscheinung, sie trägt schicke Workoutklamotten in blau und schwarz und verschämt schaue ich auf meine alte verblichene Jogginghose. Es ist für uns beide ganz seltsam, nicht am Rheinufer zu sein sondern hier oben zwischen den Steinen und mit einem Weitblick, der bis an den westlichen Horizont reicht. Penelope scheint in dieser Umgebung viel glücklicher zu sein, sie schwatzt und plaudert und hüpft dabei immer von einem Fuß auf den anderen. Mein Herz hüpft mit. Dann packt uns beide plötzlich die Leichtigkeit und wir rennen im Laub bergab so schnell wir können, stolpern über Buchenwurzeln und moosbewachsene Äste, treten auf Apfelmatsch und Reste von Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale). An diesem Dezembertag ist es warm wie im Frühling oder sogar wie im Sommer oder ich habe komplett den Überblick über die Jahreszeiten verloren.

Montag, 9. Dezember 2013

Kiwibanane


Meine Tochter, ihre Freundin und meine Freundin und ihr Sohn treffen sich zufällig auf der Post von Adelaide, als sie ihre Weihnachtspäckchen aus Köln und Königswinter abholen. Sie sagen hallo die Welt ist ja klein und gehen dann wieder ihrer Wege. Es sind 35 Grad im Schatten und in der Mittagspause von ihren Jobs holen sich die Mädchen wie immer einen Kiwibananeslush beim Balinesen mit der Eiskarre. Wenn der sie über die Straße kommen sieht, dann läuft seine Wahrnehmung in Zeitlupe ab, dann wehen ihre langen Haare sachte im heißen Luftzug des Straßenverkehrs, dann schreiten sie in ihren kurzen Röcken wie auf frisch gefallenem Schnee und ihre langen Wimpern verzögern ihren Augenaufschlag wie eine balinesische Prinzessin. Die Getränke schlürfen sie auf dem Rückweg in ihre Jobs, heute sind sie üppig geschmückt mit Hibiskusblüten (Hibiscus tiliaceus L.), sie schenken dem Balinesen ihr strahlendes Lächeln mit einem Blick über die Schulter und stecken sich die Blumen an ihre Arbeitskleidung.

Samstag, 7. Dezember 2013

geht doch


Die Flut ist besonders hoch weil Sonne und Mond in einer Linie stehen und ihre Anziehung zusätzlich zum Sturm die Welle hebt. Der Sturm ist besonders stark weil zwei extrem unterschiedlich temperierte Luftfronten aufeinandertreffen und sich dann schwindlig drehen. Mein Herz schlägt besonders schnell weil ich endlich gemerkt habe dass es sprechen kann und es seither fröhlich plappert wie um all die Jahre des Schweigens gut zu machen. Wie klar seine Sprache ist, so deutlich anders als die meines Gehirns, das immer die Diva war und sich auch so aufgeführt hat. Mein Herz spricht nicht in Worten, es zeigt mir seine Botschaft in Bildern und ganz mir zuliebe auch in Pflanzen wie etwa in Form des Gemeinen Katzenpfötchens (Antennaria dioica). Es kann sogar machen dass ich einen Duft rieche, der ganz neu und fremd ist und doch seltsam vertraut und der sich mit den Bildern fast plastisch in mein Gedächtnis brennt. Ich staune und vor Begeisterung über soviel Aufmerksamkeit entfacht es lauter kleine Feuer, eins hier, eins da, eins dort. Weiter so, Herz, brenne.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

gut gefedert


Eines der Büros in denen ich gearbeitet habe liegt direkt neben der vatikanischen Botschaft und als Benedikt zu Besuch kam waren Scharfschützen im Hof postiert. Die haben jeden unserer Schritte überwacht, auch mittags den Weg in die Falafelbude. Die Botschaft hat sich total in Unkosten gestürzt um dem Papst jede Annehmlichkeit zu bieten, unter anderem hat sie ein Bett aus deutscher Vogel-Kirsche (Prunus avium) anfertigen lassen und da die üblichen Maße irgendwie zu mickrig waren, wurde es in Popesize produziert. Benedikt hat dann aber gar nicht da geschlafen und das Bett ist bis heute unbenutzt. Diese Geschichte erzähle ich Andi, er liest lächelnd sowohl meine Gedanken als auch meine Hintergedanken. Wo soll ich es denn hinbringen fragt er. Ich würde gerne mal wieder eine Nacht im Freien verbringen und so stellt Andi das Bett in ein wildes Stück Siebengebirge abseits der Wege. Sobald es dämmert fangen wir an die Federung zu testen, wir schwingen über die Matratze, lassen uns von hohen Ästen fallen und hüpfen vergnügt auf der Polsterung herum. Obwohl Andi keine Kindheit auf der Erde hatte und sowas heute zum ersten Mal macht kann ich sehen dass er glücklich ist.

Dienstag, 3. Dezember 2013

magic

Auf das Glücksgefühl in Richtung Süden ist Verlass. Die Sonne steht tief und blendet allen Schmerz weg, bleicht Flecken von der Seele. Andi sagt das ist sogar für ihn ein Wunder, das er nicht erklären kann, wahrscheinlich wirkt hier entgegen des Wortsinns die Dunkle Energie. Ich finde es gut dass Andi mal etwas nicht weiß. Es scheint ihn in seinem Selbstverständnis als außerirdische Intelligenzbestie auch nicht zu irritieren, er bleibt ruhig und gelassen. Vielleicht freut er sich wie ich einfach über den warmen Glanz in unseren Herzen, wagt es aber nicht auszusprechen weil es mit Wissenschaft nichts zu tun hat. Je weiter wir nach Süden kommen desto mehr Löwenzahn (Taraxacum sect. Ruderalia) blüht auf den Wiesen.

Sonntag, 1. Dezember 2013

camouflage


Penelope steht am Rhein und weint, lautlos kullern ihre Tränen ins Wasser. Ich lege meinen Arm um sie und spüre wie ihr Inneres bebt. Gut dass wir hier geschützt sind, die langen Äste der Trauerweiden (Salix babylonica) schirmen uns ab. Ich brauche sie nicht zu fragen was sie quält, denn ich kenne diesen Schmerz, der sich wie ein nasses Tuch auf die Seele legt und nicht durchblicken lässt, wo die Linderung ist. Also fange ich leise an zu summen, irgendein Kinderlied, dessen Text ich nicht mehr weiß aber die Melodie schon und langsam entspannt sich Penelope, lächelt und sagt, weißt du ich glaube ich muss mich ganz neu erfinden ich will nicht mehr nur ein Teil eines Zwillings sein. Elise hat das ja auch geschafft. Ich glaube das nicht, denn Elise ist hart wie eine Rüstung, aber das behalte ich für mich. Es wäre schade, wenn du dich neu erfindest sage ich zu Penelope, ich mag dich so wie du bist. Sie fängt wieder an zu weinen und wir schauen der Strömung zu, wie sie nach Norden wegfließt und neue Strömung von Süden nachkommt.