Donnerstag, 29. April 2010

Gras, Dach

Durch roten und blauen Nebel auf dem Weg zum Wasser. Der Dunst ist heiß, wabert aus den Wänden. Schwitzend kämpfe ich einen klaustrophobischen Anfall zurück. Wo ist das Wasser? Ich folge den Schatten und sehe die Blitze, höre das Plätschern. Erleichtert schließe ich die Augen, kann das grelle Licht trotzdem sehen. Der feuchte Geruch, das kalte Gefühl auf der ängstlichen Haut. Ein spritzender Schlauch, der sich aufführt wie eine hysterische Cobra. Die Installation heißt Water pendulum: Wasser, Schlauch, Pumpe, Stroposkoplicht. Ich bin im Museum, wozu also die Aufregung. Außerdem sind hier noch ungefähr hunderte von anderen Menschen. Die Augen wollen Erholung und ich trete ans Fenster. Succession: Gras (Poaceae), Erde, Gerüst, 81 m². Der Blick auf das begrünte Dach ist eine Kunst. Olafur Eliasson hat diesen Rasen gesät. Schaut ihn euch an.

Dienstag, 27. April 2010

Felsenbirne


Kein Felsen weit und breit, aber in Berlin blühen jetzt die Felsenbirnen (Amelanchier lamarckii), auch vor meinem Büro. Eigentlich sind es auch gar keine Birnen, sondern Äpfelchen, die aus den Blüten reifen, doch wen interessiert das? Vielleicht meine Nachbarin, die aus den ulkigsten Früchten Marmelade kocht – auch aus den Felsenbirnenäpfelchen, die einen leicht bitteren Nachgeschmack nach Marzipan haben. Aus den Blüten der Kapuzinerkresse zaubert sie einen Gelee, der wie orangefarbene Seide schimmert. Seit ich weiß, dass der Busch vor meinem Arbeitsplatz Felsenbirne heißt, ist die Aussicht in meinem inneren Wertesystem schlagartig aufgestiegen. Denn Felsen heißt Berge, Berge heißen Aussicht und Aussicht heißt Feierabend. Kurz: Bayernfeeling. Ergänzt wird der Eindruck durch den Jägerzaun, der die Felsenbirne umzäunt. So ein kleines Stück Erde, das alle paar Minuten vom Durchrattern der U-Bahn vibriert, kann ganz schön viel zur Gefühlsharmonie beitragen. Auch wenn ich weiß, dass Berlin auf Moorboden gebaut ist.

Mittwoch, 21. April 2010

Tutzing

Endlich wieder in Bayern: Berge, der Starnberger See und knisternde Bettwäsche. Ein Schlosszimmer mit Kassettendecke und knarrendem Dielenboden. Nicht, dass ich außer der Nacht viel Zeit darin verbracht hätte, aber ich musste die ganze Zeit an die Behaglichkeit des schmalen protestantischen Bettes denken, an die saubere Wärme, die es trotz seiner übertriebenen Einfachheit ausstrahlt, mich umhüllt und ganz einnimmt wie kurz vorher der bittere Schaum des Weißbiers. Ich weiß, das klingt nach blöder Verblendung. Ich sitze in der Rotunde und schaue auf den See. Wie ein Spiegel spiegelt er die Alpen. Diese Idylle verlangsamt das Denken und das Sprechen. Ich spüre eine Sehnsucht, muss mich zur Ordnung rufen, das hier ist Arbeit. Witzig sind die Solarschildkröten im Park. Sie gleiten lautlos über den Rasen und schnippeln einzelne Halme ab. Den ganzen Tag sind sie auf eigene Faust unterwegs, Gänseblümchen und Veilchen (Viola odorata) fallen gleichermaßen. Über den See leuchtet die Benediktenwand (1.801 m), weiter hinten verschwommen die Zugspitze. Das Wasser ist grün und fünf Grad kalt. Es wird den ganzen Sommer dauern, bis man ans andere Ufer schwimmen kann.

Donnerstag, 15. April 2010

Johan

Ein überirdisch schöner Stewart, der den ganzen Flug über nicht lacht, kann nur ein Vampir sein. Johan ist eindeutig spanischer Abstammung: klassische Gesichtszüge mit edler leicht gekrümmter Nase, ausgeprägte Kieferknochen, samtblaue Augen, kühn geschwungene Brauen unter einem perfekten schwarzen Haaransatz, olivfarbene Haut und die Haltung eines Großgrundbesitzers. Durch den schmalen Gang des Billigfliegers läuft er wie auf den Catwalks der Haute Couture, verteilt ohne Worte laminierte Speisekarten, Rubbellose und Abfalltüten. Wie hypnotisiert starren meine Tochter, ihre Freundin und ich auf jede seiner Bewegungen, ungläubig bestaunen wir seine arroganten Gesten, die von einer leichten Abscheu zeugen, sich mit uns und den anderen Touris in einem Raum aufzuhalten. Der Schwung seiner Lippen ist exakt gezeichnet, tiefer Neid erfasst uns angesichts seiner Möglichkeiten, die ja wohl offensichtlich bei diesem Job nicht zur Geltung kommen. Er könnte der Star historischer Filme sein, könnte jeden Untoten mit Bravour mimen, könnte aus dem Stand mit mürrischem Gesicht Werbung für Boss-Parfüm machen. Vielleicht löst er nur eine Wette ein, ist schon ein großer Name in der Szene, Johan, mach mal den Stewart für einen Tag, das schaffst du nie. Doch Johan beißt die Vampirzähne zusammen, Schwarze Teufelskralle (Phyteuma nigrum) noch mal!!

Dienstag, 13. April 2010

Windstärke 10

Mitten in der Nacht wache ich auf. Die Balkontür schlägt wild in den Angeln, draußen herrscht ein Höllenlärm. Das Meer müsste schwarz sein, dunkel wie der bedeckte Sternenhimmel. Doch es schäumt, trägt weiße Wellen, die unter dem Druck des Winds fließen wie ein schneller Strom. Mein Surferherz jauchzt, obwohl ich einem solchen Sturm niemals standhalten könnte. Angst hätte ich, sobald ich auch nur in Berührung mit dem aufgewühlten Wasser käme. Auch der pelzige Borretsch (Borago officinalis) liegt flach am Boden, die blauen Blüten zittern. Sobald es hell ist, sind die Boarder auf den Brettern, rasen mit halsbrecherischem Tempo am Strand entlang, springen in die Gischt, wo sie für immer verschwinden. Neue kommen nach, auch sie haben das fanatische Grinsen im Gesicht. Kurzes Glück, langes Glück, immer wiederkehrendes Glück. Orkaaaaaan!

Sonntag, 11. April 2010

Der grüne Wal

Irgendwo muss es doch einen angesagten Sundowner geben. Die Sonne versinkt jeden Abend im Meer und ein Ritual des Danks wäre so natürlich wie die Lage dieses Fischerorts, in dem jetzt Surfer wohnen.Wir finden einen grünen Wal aus Pappmaché, der uns mit seinen freundlichen Comicaugen zublinzelt und uns in sein Inneres auf einen Drink einlädt. Die Bar ist freaky wie seine Besitzerin, eine ungefähr siebzigjährige Ballerina, die feingliedrig umhertänzelt, Kerzen in bunte Gläser stellt, Aschenbecher austauscht und mit tiefer Stimme ihre Gäste begrüßt. Alle Tische sind voll, gut gelaunte Leute mit schwarzen Haaren und gesunder Gesichtsfarbe. Sie trinken Mojito mit frischer Minze (Mentha piperita). Die Sonne ist kurz vor dem Aufschlag auf den Horizont. Plötzlich stehen alle auf und blicken stumm gen Westen, eine Glaubensgemeinschaft, die eine rote Kugel anpreist. Kaum ist die Sonne weg, wird wieder gefeiert, die Musik lauter gestellt, neue Getränke gemixt. Wir warten auf die Band, die vor dem grünen Wal spielt, aber sie kommt nicht. Auch nicht schlimm.