Sonntag, 31. Oktober 2010

Katze am Kotti

Superfrüh gehe ich zum Kottbusser Damm in der Hoffnung die Bahnen streiken nicht. Ein ungewohntes Geräusch dringt durch den Lärm der Straße, ein klägliches Miau. Ich bin nicht die Einzige, die so früh unterwegs ist und die das Maunzen irritiert. In der Dunkelheit sieht man die kleine schwarze Katze kaum. Sie läuft ziellos zwischen den Fahrradständern umher und weiß offensichtlich nicht wo sie hin soll. Mit meinem Rollkoffer in der einen dem Regenschirm in der anderen Hand stehe ich da und will etwas tun. Aber was? Passanten ansprechen? Die Männer, die rauchend an mir vorbeiziehen schauen auch auf das Kätzchen. Ich glaube es hat nur ein Auge. Also total mitleiderregend, aber auch ein bisschen abschreckend. Oje, sie kommt bestimmt gleich unter die Räder, wenn sie niemand rettet. Ich kann nicht. Dann ist da der ältere Mann arabischer Abstammung, der sich plötzlich zu dem Tier herunterbeugt und es an seinem Nackenfell packt. Routiniert. Er trägt die Katze wie einen nassen Lappen zu den Hinterhöfen und setzt sie in den Liguster (Ligustrum). Ob sie dort wohnt, weiß ich nicht. Ich hoffe es. Vielleicht macht er das jeden Morgen, bevor es hell wird.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Haare nass

Gleich noch mal ins Aqualand, weil es so schön war neulich. Wenn die kreischenden Gören endlich weg sind und sich die Pärchen in das dämmrige Sauerstoffbecken zurückziehen, wird es gemütlich. Meine Tochter und ich steigen in einen der acht Whirlpools und die Luftblasen hieven uns in einen ulkigen Schwebezustand. Mein Fett wabbelt, sagt meine Tochter, dabei hat sie gar keins. Am Ende der Blubberphase sollen wir eigentlich ein paar Runden schwimmen. Damit das nicht so langweilig ist, wechselt jeden Meter das Licht in Rosa, Blau, Grün und Rot. Eine Strömung trägt uns in die Salzlagune. Wassertropfen fallen sanft und wohltemperiert auf die glitzernde Oberfläche. Schimmernde Luftalgen (Aerophyten) hängen von den Felsen. Dampf wird in die Glaskuppel gepustet und irgendjemand aus der Crew dreht die Musik laut. Zum Soundtrack von Mission Impossible flitzen bunter Laser durch den Raum, erzeugen Bilder von Fischen, Kraken, Delfinen und von Tom Cruise. Dann dröhnt Metallica über das Wasser und die ganzkörpertätowierten Muskelprotze lachen laut. Wir lachen mit. Dann tauchen wir unter und endlich sind auch unsere Haare nass.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Wellnessstress

Meine Tochter und ich gönnen uns einen Wellnessabend. Auf gutglück gehen wir ins Aqualand und die Erfahrungen vieler Kinderjahre in dieser Wasserlandschaft enttäuschen uns nicht. Es gibt Zitrussaunen und Aromabäder, Waldoasen und Moorpackungen, Kristallgrotten und Rosenquarzhöhlen, Hammam und Peeling, Steineauflegen, Ölwaschungen, Dampfduschen, Wassergymnastik, Kundalini-Yoga, Palmen (Arecaceae), Ayurvedische Streicheleinheiten und die Power Relax Massage. Mit unserer Vierstunden-All-Inklusive-Karte werden wir das gar nicht alles schaffen. Manche Angebote schließen einander auch aus finde ich. Zum Beispiel mit dem eingeölten Körper in den Whirlpool steigen. Oder nach der Quarzentspannung die Monster-Looping-Rutsche runter. Mein Masseur ist ein durchtrainierter Asiate, der lieber meine Tochter massieren würde. Im abgedunkelten YinYang-Separé walkt er mich zu sphärischen Klängen so richtig durch. So bin ich noch nie rangenommen worden, ohne Witz. Seine Muskelkraft presst mich auf die Matte, ich atme heftig in mein Handtuch und versuche, keinen Widerstand zu leisten. Ab und zu knacken Knochen, sind das meine? Habe jedes Zeitgefühl verloren, bin nur noch Rücken. Wow! Kurz bevor ich ins Nirvana tauche, krallen sich seine Hände in meinen Nacken und schütteln mich wie einen jungen Hund. Liegen bleiben, befiehlt er, deckt mich zu und verschwindet. Meine Tochter treffe ich auf dem Flur, auch sie hat Sterne in den Augen.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Hotel

Schon fast hundert Jahre gibt es dieses Hotel. Im Restaurant, ganz hinten im Nichtraucheck, bestelle ich einen Salat mit Putenstreifen. Der Kellner hat mich zuerst gar nicht gesehen und dann als er zufällig mal guckt und mich da sitzen sieht, denkt er wahrscheinlich was will die. Im Salat sind Haare. Ich schiebe die Schüssel langsam zu Seite und kippe den Veltliner hinunter. Wortlos räumt der Kellner den Teller weg, er scheint beleidigt zu sein, dass ich reklamiert habe. Sein Gesicht drückt tiefe Verachtung aus. Ich würde gerne noch einen Wein trinken. Mein Kopf will unbedingt wissen, von wem die Haare stammen. Ich muss ihn betäuben, sonst sitzt er mir die ganze Nacht im Nacken. An der Bar trinke ich einen Zweigelt, der Mann neben mir bläst mir Rauch ins Gesicht. Es gibt keine Minibar im Zimmer, die Pflanze ist aus Plastik. Im Fernsehen läuft ein Porno und erschrocken schaue ich zu, was die da machen. Ist das ein freier Kanal oder eine Direktübertragung aus dem Hinterzimmer. Irgendwie peinlich. Auch völlig unerotisch. Keine Musik, kein gedimmtes Licht, keine Haare an den Körpern. Mein bedröhnter Kopf stellt eine Verbindung her.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Dreimal Zehn

Den Blick auf den Boden geheftet laufe ich am Landwehrkanal entlang, vielleicht finde ich etwas. Schalen von Kürbis- und Sonnenblumenkernen, Kippen und Kronkorken. Das Ufer des Landwehrkanals sieht aus wie eine Pizzabude, überall die quadratischen Klappkartons gestapelt, als würde gleich ausgeliefert. Doch die Pappen sind leer, aufgegessen, wenn nicht dann fressen die Ratten den Rest. Ganz schön fett die Viecher. Mama was will die Maus. Gekreische von Müttern und Mädchen, die keine Ratten gewöhnt sind. Die Jungs versuchen sie mit ihren Stöcken aus Weide (Salix) aufzuspießen. Wenn die Wasseroberfläche nicht wäre, würde man den ganzen Müll sehen. Wer macht es sich schon neben einer Müllkippe gemütlich. Diese Frage trifft auf Berlin nicht ganz zu. Erstaunlich die Orte, die für einen Chillout ausgesucht werden, auch auf einer Verkehrsinsel kann es schön sein. Wir trinken Erdbeerwein und danach Kirschwein, sozusagen zum Kaffee aber ohne Kaffee. Von der Admiralsbrücke klingt es spanisch. Die Sonne geht genau über dem Wasser unter. Wir trinken Wodka.

Montag, 11. Oktober 2010

Die Frau mit der goldenen Jacke

Außer der goldenen Jacke trägt diese Frau die lautesten Pumps die es gibt. Schon wenn sie die Treppe hinunter steigt, klingt das, als würde sie ein Dressurpferd mit sich führen. Sie wohnt in der Dritten und hat ihren Auftritt jeden Tag um kurz vor neun. Wahrscheinlich muss sie um neun irgendwo sein, denn sie hat es immer furchtbar eilig, manchmal ist ihr Haar noch feucht. Ihre Kleiderkombi ist abenteuerlich und immer trägt sie Stöckelschuhe, auch wenn draußen Schnee liegt. Ihr Gang wirkt schwerfällig und sie schwankt, weil sie mit den zwei kleinen Punkten der Absätze kaum in der Lage ist ihr Gleichgewicht zu halten. Sie sieht aus als wäre sie schon den ganzen Tag unterwegs. Ich könnte mal in der Zweiten fragen, ob sie auch in der Wohnung so rumklappert. Aber wahrscheinlich trägt sie zuhause Leopardenpuschen, mit denen sie nach einem anstrengenden Tag auf High Heels geschmeidig das Parkett poliert. Ich stehe morgens mit meiner Kaffeetasse am Fenster, schaue auf die Blätter des Siebensterns (Trientalis europaea) und warte, bis sie kommt. Ihre Jacke reflektiert den ersten Sonnenstrahl, das Trommelkonzert ihrer Schuhe dröhnt über den Hof und dann ist sie weg.

Samstag, 9. Oktober 2010

erdähnlich

Dies ist eine ungewöhnlich lange Nichtandiphase. Wo treibt er sich herum. Es gab Nachrichten von der Entdeckung neuer Planeten in anderen Sonnensystemen, einer soll sogar erdähnlich sein. Ist Andi vielleicht dort gelandet. Ich kann mir so eine Ähnlicherde nur so vorstellen, dass es dort aussieht wie bei uns in der Wüste, trocken, staubig, heiß oder kalt mit pflanzenähnlichen Pflanzen, vielleicht Agaven (Agave). Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Lebewesen dort sind, trotz der ganzen Fiktion im Kopf. Leider ist sie aber auch mit katastrophenartigen Szenerien verbunden, weil in den Filmen oder Büchern immer etwas ex- oder implodiert. Auf jeden Fall erodiert meine Erinnerung an unsere einzigartige Berührung und krampfhaftes Festhalten an Erinnerungen heißt nicht unbedingt, dass sie nicht doch verblassen. Über Nacht ist wieder ein kleines Detail weg, die Linie seines Haaransatzes verschwimmt und ich habe den ganzen Tag Linien vor den Augen, die sich mit Küstenlinien, Straßenverläufen und Kondensstreifen am Himmel vermischen, ein blöder Liniensalat, der das gespeicherte Bild verändert. Komm bald wieder Andi.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Lautes Müsli

Lärm ist eine massive Art von Umweltverschmutzung, vor allem morgens in der Küche. Ginge es nach der Gebrauchsanleitung, würde meine Tochter ihre Körner abends mahlen und sie über Nacht einweichen. Weil sie das aber immer vergisst und ich auch, stellt sie die Maschine quasi vor dem Aufstehen an und kippt Kefir über die Körner, kurz bevor sie für eineinhalb Stunden ins Bad verschwindet. Ich wache also von diesem Höllenlärm auf und denke, das kann nicht ökologisch sein. Doch ich sage nichts, weil ich ganz begeistert bin von der neuen Müsliphase meiner Tochter. Wenn ihre Freundin übernachtet, zelebrieren sie das Frühstück richtig. Lächerlich ist zwar die Menge, sozusagen homöopathisch, die sie mit Espressolöffeln aus den kleinen Teeschalen löffeln, die seit zwanzig Jahren unbenutzt im Schrank stehen. Damit sich dieser Tick nicht so schnell verliert, steuere ich kostbare getrocknete Beeren bei, Cranberries etwa, handgepflückt aus dem schottischen Hochland, noch mit kleinen Anteilen von Flechten (Lichen) in der Packung. Oder handgeschabte Kokosraspel aus der venezolenischen Frauenkooperative La Campesina, ab und zu auch schokoliertes Kaffeebohnencrunchy aus dem kontrolliert biologischen kenianischen Hochland. Lecker.