Sonntag, 29. Dezember 2013

James


In meinem Herz singt eine Nachtigall, etwas schräg, sie hat einen gebrochenen Flügel. Wenn sie im Morgengrauen durch die dunklen Hohlwege im Siebengebirge fliegt, dann ist sie ein wirbelnder Schatten mit einer großartigen Stimme, sie streift die umgekippten Silberbäume (Sorbus aria), taumelt, rafft sich wieder auf, hebt talwärts ab und schafft es gerade noch an mein Fenster. Ich nehme sie auf, schiene den Flügel, glätte die Federn und setze sie behutsam auf meine Frisierkommode. Ihre Augen glänzen im Spiegel, aus ihrer Kehle dingt ein heiserer Ton, ihre Krallen ritzen kleine Kratzer in den Marmor. Im Schein der Kerze lese ich James, ist das etwa ihr Name? Ich dachte alle Nachtigallen wären Mädchen, aber okay, es ist eine stereotype Annahme, dass die dann auch wirklich weibliche Namen tragen. James ist eigentlich ganz schön, irgendwie britisches Understatement, wer kann schon von sich sagen, hey ich kenne eine Nachtigall, die heißt James und singt in meinem Herz.


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