Donnerstag, 26. November 2009

Zugenagelt

Das blonde Mädchen ist höchstens siebzehn und hat eine beneidenswert glatte Haut. Ihre Augen sind mit einem perfekten Lidstrich geschminkt, die Lippen haben einen sanften Schwung. Sie zieht viele Blicke auf sich. Durch die samtene Haut ihrer Wangen sind auf jeder Seite zwei Piercings gestoßen, die leichte Dellen verursachen. Auch knapp über der der Oberlippe hat sie ein Piercing und dann noch einen Ring durch die linke Braue. Sie lehnt sich zurück und schließt die Augen. Lange Wimpern streifen ihr Gesicht, zart wie die ersten Blütenblätter der Schlehe (Prunus spinosa) im Frühling.  Alle Leute, die um sie herumsitzen, schauen sie jetzt an, begreifen nicht das Metall in diesem lieblichen Antlitz, verstehen nicht die Lust an der Selbstzerstörung und versuchen zu ermessen, wie groß der Selbsthass denn sein kann, wenn man so gut aussieht. Das ist schwer nachzuvollziehen. Mir gelingt es nicht. Meine Fantasie geht vom banalen Aufstand gegen die Spießergeneration der Eltern über die reine Neugierde auf den Schmerz bis hin zu ich will nicht mehr immer die Schöne sein und deshalb nagele ich mich zu. Ich habe neulich schon einmal ein Mädchen mit einigen Piercings um den Mund gesehen und bin richtig erschrocken. Denn bei ihr sah das horrormäßig aus. Und ich glaube, sie hat sich gefreut, als ich zusammenzuckte. Sie lachte und das Metall in ihrem Gesicht funkelte.

2 Kommentare:

  1. Manche empfinden diese Metalle als schön oder sie wollen einfach rebellieren- sich gegen die Mehrheit stellen.Wenn sie so gut aussah, will sie vieleicht diese äußere Perfektion verwischen.

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  2. Wahrscheinlich ist sie noch zu jung dafür, denn eigentlich ist es doch genial, wenn sie so gut aussieht, aber in ihrem Inneren diese Perfektion ablehnt und auch sonst nicht den Erwartungen an ihr Äußeres entspricht. Ich finde es immer eine gelungene Überraschung, wenn perfekt gestylte Frauen (oder Männer) ganz unerwartete Sachen sagen oder machen.

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