Montag, 5. Juli 2010

Kresse ist wohl Anwältin

Auf meiner wöchentlichen Fahrt nach Berlin sitze ich wie immer in Wagen 32. Das ist ein Ruhebereich, telefonieren und laute Gespräche sind zu vermeiden. Ein Piktogramm, bei dem ein Androgyn die Lippen schürzt und den erhobenen Zeigefinger davor hält, weist darauf hin. Psst. Viele Zuggäste wissen das und reservieren absichtlich einen ruhigen Platz. Andere Zuggäste kennen diese Regel nicht und verstoßen daher recht schnell gegen sie. Ich sitze also und lese. Hinter mir sitzt und arbeitet Frau Kresse (Lepidium sativum). Sie raschelt mit und zerreißt Papier, dann hat sie ein etwas längeres Mandantengespräch mit oder über Jürgen Schmidt über ein falsch verlegtes Heizungsrohr, das nun wieder entfernt werden muss. Außerdem hat der Handwerker den dabei anfallenden Müll nicht anständig entsorgt. Der hat einfach seinen Dreck liegen gelassen, Schutt, Kabelenden und so, Sondermüll eben. Nach einer halben Stunde wissen dann alle in Wagen 32, dass Frau Kresse selbst die Geschädigte ist. Das erklärt ihre gestresste Stimme, die jetzt leicht hysterisch zwischen den Sitzen hindurch quillt. Die anderen Zuggäste gucken schon, manche runzeln die Stirn. Wer wird es zuerst wagen, Frau Kresse zur Ordnung zu rufen? Was, wenn sie den gleichen Ton anschlägt, den sie auch ins Telefon keift? Lieber einen neuen ruhigeren Platz suchen. Auch ich ziehe Leine.

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