Mittwoch, 23. März 2011

Dort oben

Andi ist zurück, so schnell. Ich laufe durch die Straßen und merke wie mir jemand folgt, er sieht wieder ganz anders aus. Niemals hätte ich in diesem Mann Andi vermutet. Als er mir in den Nacken atmet, steht mein Herz still. Warum sind seine Augen jetzt blau? Waren sie nicht braun das letzte Mal. Andi, wo warst du, kannst du nicht verhindern, dass diese Fabrik in die Luft geht. Er sagt deswegen sei er hier, aus dem Weltraum sähe das Ganze gefährlich aus, so als müsste man die Menschheit umsiedeln. Kommst du jetzt mit fragt er. Ich brauche einige Tage Bedenkzeit, kann nicht alles stehn und liegen lassen, oder. Der Gedanke, nah bei Andi zu sein, schwerelos neben ihm herzuschweben, manifestiert sich, sinkt ein in meine Haut wie ein winziger Kaktusfeigenstachel (Opuntia ficus-indica). Wo soll ich auch sonst hin wenn die Welt untergeht. Der ganze Staub wird sich verteilen, bis alle ihn einatmen, auf der ganzen Erde. Wie ist es dort oben, frage ich.

Dienstag, 22. März 2011

Magnet

Von Andi habe ich so einen dicken schwarzen Klumpen, der ist ein Magnet. Er ist so stark, dass er Büroklammern über die Tischfläche zieht. Neulich fallen mir die Autoschlüssel aus der Hand und direkt in den Gulli. Meine Tochter ruft OH NEIN und weg sind sie. Ich ziehe meinen Magneten aus der Handtasche, binde einen Faden dran (den hatte ich zufällig auch in der Tasche, weil ich, wenn wir am Rhein spazieren gehen, alles aufsammle, was da so angeschwemmt wird und die Schnur sieht noch gut aus) und lasse ihn in die Tiefe gleiten. Zwei Meter geht es runter, dann merke ich wie meine Angel schwer wird und ziehe das Ganze wieder hoch. Neben ein paar verrosteten Nägeln, einem halben Ohrring und zehn Cent hängt am Magnet auch mein Autoschlüssel. Ich klaube die ekligen Braunalgen (Phaeophyceae) ab und schon kann es weitergehen.

Dienstag, 15. März 2011

Andy und Paul

In meinem Ort gab es in den Achtzigern eine Andy-Warhol-Ausstellung, der Künstler war sogar vor Ort, eingeladen von Paul Spinat (Spinacia oleracea), der in seiner Gründerzeitvilla einen auf dicke Hose machte. Von diesem wertvollen Kleinod für mein Heimatbewusstsein habe ich erst am Wochenende erfahren als ich mit meiner Freundin auf Besichtigungstour vor der Haustür war. Ein paar Schritte gelaufen und schon tun sich zeitgeschichtliche Kuriositäten auf. Die Villa, die wie ein Schloss aussieht und auch so heißt, ist jetzt ein Museum und außer der Geschichte mit Warhol gibt es noch einen goldenen Rolls Royce in der Kellergarage. Mit dem hat Paul Spinat der Legende nach Andy Warhol das Siebengebirge gezeigt. Die sind am Sonntagvormittag durch die Berge gecruised und das biedere Volk hat sich gewundert, was für Haare der Andy bzw. warum der Paul hellgrüne Haare hat. Paul Spinat war Kostümfabrikant, hat gerne selbst Phantasieuniformen getragen und dazu passend verschiedenfarbige Toupets. Crazy.

Freitag, 11. März 2011

Hannah

wäre gestern 18 geworden, wäre sie nicht vor vier Jahren das Opfer eines Gewaltverbrechers geworden. Er hat Hannah dem Leben entrissen, ihrem eigenen, dem ihrer Eltern und Schwestern und unserem – dem meiner Tochter, deren beste Freundin sie seit dem Kindergarten war. Hannahs Eltern halten die Erinnerung wach. Sie sammeln in einem Erinnerungsbuch Gedanken und Erlebnisse, sie gehen mit der Hannah-Stiftung in den öffentlichen Raum. Und gestern, an ihrem Geburtstag, gab es eine Party mit einem großen Feuerwerk. Irgendwie war es, als wäre auch Hannah unter all den Leuten, die mit gefeiert haben, als würde sie wie ihre Schwestern durch die Menge gehen, mit leuchtenden Augen ihren Freundinnen und Freunden zuprosten und die krachenden Raketen in den Himmel schicken, damit allen klar wird, dass sie es geschafft hat! Wir klatschen und weinen und die kleinen Hannahteilchen brennen sich weiter in unsere Köpfe ein, wo sie nicht verloren gehen.

Donnerstag, 3. März 2011

Leasurepleasure

Kann mich nicht überwinden endlich wieder laufen zu gehen. Also spaziere ich stattdessen durch den Park und plötzlich kommt dieser Drive, der meine Geschwindigkeit anheizen will und den ich dann unter Kontrolle halte, weil es dämlich aussähe, würde ich in Mantel und Stiefeln joggen. Außerdem würde ich sofort ins Schwitzen kommen und hätte im Büro nur das Laufoutfit im Schrank, in dem ich aber auch nicht den Rest des Tages herumsitzen will. Habe nämlich gerade in einem Magazin gelesen, dass legere Garderobe dazu führt, dass eine sich gehen lässt. In meinem Bürostuhl will ich Haltung bewahren, koordinierte Bewegungen ausführen und den Bleistift geraderücken. Habe mich heute einige Male selbst erwischt, wie ich mit leerem Blick auf den Bildschirm schaue und mich nicht erinnern kann was ich gerade gedacht habe bzw. tun wollte. Fühlt sich an als würde da jemand in meinem Kopf auf den Pausenknopf drücken. OK, ich hole die neue Leiter und poliere den Kronleuchter. Muss unbedingt neue Birnen (Pyrus) kaufen. Das ist doch ein konstruktiver Gedanke.

Dienstag, 1. März 2011

Erste Sahne

Der Schnee fühlt sich an wie geschlagene Sahne. Ich wate durch die träge Masse, bis ich den Rhythmus finde, der mich gleiten lässt. Nach einer knappen Stunde bin ich high von den Endorphinen, blinzle blöd in die Sonne und wische mir das Salz von der Stirn. Wo bin ich? Im Bett. Der Schnee ist ein Traum. Mein Schlafgefährte zuckt wie Wolfsfell. Ich kuschele mich an seinen Rücken und versuche die Fortsetzung zu träumen. Das klappt natürlich nicht, weil der Wunsch nicht ins Unterbewusstsein dringt. Das macht lieber was es will. Schert sich nicht darum, dass ich die ganze Nacht weiter durch eine weiße Landschaft laufe, in der nichts passiert. Die innere Mongolei. Endlose Steppen, über die der Wind fegt. Ich bin ein kleiner transpirierender Punkt. Schweiß wird zu Eis. Fühlt sich ok an. Dann verbrenne ich Beifuß (Artemisia vulgaris), der im Sommer die Mücken verteibt. Der Schnee wird zu Rauch, weiß, dick, mückenvertreibend. Ich stehe im Rauch und bin froh, dass ich nicht gebissen werde. Die Mücken sind so groß wie Bienen. Ich wache wieder auf. Der Wolf zuckt.