Donnerstag, 27. Februar 2014

Jelängerjelieber


Es gibt tatsächlich eine Pflanze, die heißt Jelängerjelieber (Lonicera caprifolium). Normalerweise schreibe ich ja nicht über Pflanzen an sich, doch diese hier löst eine Flut von Assoziationen bei mir aus und ich kann mich gar nicht entscheiden, welches Jelängerjelieber ich mir näher ansehe. Konditioniert in systematischer Vorgehensweise erstelle ich eine Prioritätenliste: 1. Sex (keine Namen J) 2. Urlaub (Australien) 3. Spaghetti (DeCecco) 4. Sommer (Australien) 5. Snowboardabfahrt (Nebelhorn) 6. Wanderweg (E 5) 7. Roman (Matter, Iain Banks)
8. Messer (Solingen) 9. Abgang beim Rotwein (Amarone)
10. Mittagspause (beim Italiener) 11...(äh ja, jetzt wird es langweilig). Außer Konkurrenz: Liebe (Andi). Ich frage mich, wer die Pflanze warum so genannt hat, ob es aus einer in meiner Liste genannten Laune heraus geschah, etwa beim Mittagessen beim Italiener auf einer Sommerterrasse, die von diesen duftenden Büschen umsäumt ist. Nach drei Gläsern Wein benennt der Täufer das wohlriechende Geißblatt um in Jelängerjelieber, wohl wissend, dass die Pflanze olfaktorisch darüber hinwegtäuscht, dass die giftigen Wirkstoffe Xylostein und Saponine ihrer roten Beeren im menschlichen Organismus Brechreiz und Leibschmerzen hervorrufen; für Leute, die drauf stehen jelängerjelieber.


Sonntag, 23. Februar 2014

Phoenix


John ist Feuerkünstler. Er unterstützt mich in der Endstufe meiner Transformation. Als ich ihn um Hilfe bitte sagt er du kennst doch das Feuer besser als ich. Ja, aber ich kann es nicht so gut kontrollieren und brauche ein paar professionelle Tipps. John betrachtet prüfend meine Vorbereitungen und nickt anerkennend. Dann mal los. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass ich mich zurzeit semantisch im Wasser bewege und ein abschließender Wechsel in ein anderes Element heikel ist, wenn nicht gefährlich. Gefährlich ist gut sagt John und lacht. Er kennt viele Arten von Flammen, die blauen, die gelben und goldenen, die gierigen und gleißenden, die lautlosen und die explodierenden. Für mich entzündet er eine neue: die superheiße. Sie ist in der Lage meinen Kokon zu sprengen ohne den Inhalt zu verletzen. Der Inhalt bin ja auch ich, haha, auch wenn ich noch nicht weiß, was genau ich bin. Aber eine schwarze verkohlte Masse will ich nicht sein. Du wirst überrascht sein was aus der Hitze entsteht, sagt John. Atme diesen Rauch ein. Er reicht mir einen glühenden Stengel Dattelpalme (Phoenix dactylifera) und fängt an. 

Mittwoch, 19. Februar 2014

großartig


„Wie weit bist du mit deiner Regenerationstherapie?“
„Hm, ich weiß nicht genau. Die Behandlung mit Wärme scheint anzuschlagen.“
„Wie macht sich das denn bemerkbar?“
„Na ja, ich bin irgendwie fröhlicher.“
„Soso, irgendwie fröhlicher...“
„Mach dich bloß nicht lustig über mich, du steckst ja auch noch mitten in der Transformation. Oder habe ich etwas verpasst?“
„Nein, stimmt. Ich nehme jetzt Transferasen.“
„Klingt eklig, was ist das?“
„Das sind Enzyme zur Übertragung von bestimmten Atomgruppen.“
„Bist du sicher, dass dir das nicht schadet?“
„Im Gegenteil. Ich fühle mich großartig. Als hätte ich Rauschbeeren (Vaccinium uliginosum) gegessen.“
„Ich hätte Angst vor einer Regression.“
„Gegen die Angst nehme ich Regulatorproteine.“
„Vielleicht solltest du es mal mit Wärme versuchen.“

Samstag, 15. Februar 2014

wo bin ich


Meine Zahnärztin hypnotisiert mich. Sie sagt bei mir braucht sie nur mit den Fingern schnippen und schon bin ich weg. Dann behandelt sie in aller Ruhe meine craniomandibuläre Dysfunktion, das klingt schlimmer als es ist. Sie hat das schon öfter gemacht. Also, auf jeden Fall bin ich dieses Mal irgendwie in einer Art Zwischenwelt hängengeblieben und okay, es herrscht eine sehr entspannte Atmosphäre, mein subjektives Schmerzempfinden ist gleich null und sämtliche Blockaden scheinen überwunden – alles cool und tropisch inselmäßig. Nach und nach stellen sich die Sinne wieder ein und mein Gehirn tut mir den Gefallen und fragt wo bin ich. Während es sein ganzheitliches Testverfahren durch meinen Körper schickt betrachte ich mich im Spiegel, rotes T-Shirt mit grüner Salakpalme (Salacca zalacca), Haare etwas länger als vor meinem Termin und silberne Flipflops. Ich lächle mir zu, bewundere meine perfekten Zähne und beiße damit in eine Schlangenhautfrucht, lila Saft spritzt auf den Boden. Wanderameisen lecken ihn mit ihren kleinen rosa Zungen gierig auf. Mein Gehirn rollt mit meinen Augen und findet es reicht jetzt. Es ist und bleibt mein persönlicher Spielverderber.

Sonntag, 9. Februar 2014

boycow


Die erste olympische Goldmedaille gewinnt ein Snowboarder, rock´n roll! Auch wenn Russland das nicht wahrhaben will, damit wird die gesamte systemspezifische Semantik an scheinbar bewahrenswerten und bedeutsamen Leitvorstellungen, die sich aus dem offiziell formulierten und mit einem was wir im Westen aggressives Marketing nennen würden standardisierten Volksempfinden untergraben. Das grundlegende kulturelle Erbe des russischen Gesellschaftssystems schlittert in kunstvoller Akrobatik durch die Halfpipe. In der Zeitlupe wird klar, wie gerissen sich der Underdog mit außerordentlicher Substanz und stilsicherer Perfektion den Sieg holt und er am Ende seiner Performance noch einen seltenen und herzergreifenden 1620 Japan zelebriert. Niemand ohne Boarderherz kann sich vorstellen, wie dieses Gold Millionen von Zuschauer für immer verändert. Es ist wie den Blütenstaub des in Virginia heimischen Schneeflockenstrauchs (Chionanthus virginicus) einzuatmen, er wird Teil des menschlichen Organismus und das Gehirn wird beim Wort Pipe nie wieder an Öl denken wollen, sondern an Airs, Spins, Flips oder Grabs in unendlichen Variationen und individuellen Neudefinitionen. In den Straßen von Sochi haben Sprayer boycow! an die Mauern gesprüht, funny.

Freitag, 7. Februar 2014

extrem lecker


Künstliche Zurückhaltung ist nicht mein Ding. Werfe mir ein paar attraktive Happen hin und ich werde von der Kröte zum Hai. Die Hai-Analogie ist nicht wirklich passend, denn der schlingt ja alles runter ohne wirklich zu genießen, obwohl wer weiß schon Bescheid darüber wie ein Hai genießt und schließlich kann er nicht anders, er muss mit wilder Begierde das Blutige schnappen. Langer Hairede kurzer Sinn: ich bin mit etwas Leckerem so was von manipulierbar, vergesse antrainierten Anstand, selbstauferlegte Demut und in meinem Körper fängt es an zu kribbeln wie tausendmillionen Ameisen auf einem australischen Perückenstrauch (Cotinus obovatus Raf.). Feine Restaurants mit extrem leckerem Essen sind der ideale Ort um mir etwas zu verkaufen was ich nicht brauche, mich zu etwas verführen oder zu versprechen, an das ich mich am nächsten Tag nicht mehr erinnern kann. Wie immer (oder meistens) sind es schlicht die Hormone, die diesen Zirkus veranstalten. Mein Gehirn lacht sich regelmäßig schlapp über meinen Gesichtsausdruck wenn die Wirkung nachlässt, doch das ist mir egal, ich kann nicht anders.

Mittwoch, 5. Februar 2014

5x treu


„Freiem Leben, freiem Lieben/Bin ich immer treu geblieben!“
„Von dir? Dichtest du jetzt auch?“
„Neee, das ist von Louise Aston, 1846.“
„Diese Definition von Treue ist wirklich mal überzeugend.“
„Meine Liebe, du hast ein wildes Herz.“
„Da sitzen wir hier so still und in unserem Innern wächst das nächste Abenteuer.“
„Hört sich so an als wüsstest du schon wohin die Reise geht.“
„Ich würde gerne einen Mammutbaum (Sequoiadendron giganteum) berühren.“
„Seit wann zieht es dich in den Wald?“
„Ist nur so ein Gedanke.“
„Wusstest du, dass es in einer Pflanzengesellschaft fünf Treuegrade gibt?“
„Nein, ehrlich?“
„Ja, nicht mal Pflanzen unterwerfen sich unserem dämlichen Dualismus.“
„Haha! Das gefällt mir. Ich verstehe immer mehr was dich an der Flora fasziniert.“

Montag, 3. Februar 2014

Das Leben als Amphib


Ich tummle mich im Ozean der Semantik (autsch, this sucks) obwohl ich den Status als Tümmlerin noch nicht habe. Muss mich derweil als iberische Geburtshelferkröte verdingen, den Blick nach unten richten und darf nur ab und zu mal frische Lust schnappen. Das Leben als Amphib ist am Anfang ganz angenehm, dann wird es schnell langweilig. Dieses Regelding habe ich mir selbst auferlegt, denn ich neige dazu neugierig zu sein, interessante Sachen zu entdecken und ihnen dann zu folgen, man kann das auch Abenteuerlust nennen. Neulich habe ich etwas gefunden das ich gar nicht gesucht habe und das war viel mehr als ein glücklicher Zufall, weil es war ein bedeutender Zusammenhang zwischen zwei völlig verschiedenen Vorgängen und das Beste ist das Wort das es dafür gibt: serendipity. So was kommt häufiger vor als Kröte gemeinhin denkt. Wenn ich irgendwann eine findige Tümmlerin bin kann ich auch intelligent schlussfolgern und in einem Sekundenbruchteil erkennen, dass das da unten keine sich in der sanften Dünung schlängelnde Alge (Rhodophyta) ist, sondern ein Aal. Als Kröte aber glotze ich nur blöd und kapiere gar nix.