Dienstag, 29. Juni 2010

Bewunderung ist albern

Hm, es gibt also doch noch Menschen, die mich überraschen. Bin platt von so viel Understatement. Wirft mir zwar ein paar Brocken hin, der Professordoktor, doch ich picke nur und nicke höflich. Jetzt, wo ich plötzlich mehr weiß, bin ich nachhaltig beeindruckt. Manche haben eine Energie für viele. Ich gehöre nicht dazu, obwohl ich auch etwas mehr habe als andere. Ist schwer zu messen, eher zu spüren. Da ist eine Wellenlänge, auf der ich reite, eine Sonne, deren Wärme ich aufsauge, ein Knistern, in das ich mich wickle. Seelenverwandtschaft. Was für ein großes Wort. Zu gewaltig für mein kleines umfassendes Wohlgefühl, für die Gewissheit, nicht allein in diesem Universum zu sein. Wo ist eigentlich Andi abgeblieben? Habe seit Monaten nix mehr von ihm gehört. Muss in entfernten Galaxien herumschwirren. Komisch, ich habe ihn gar nicht richtig vermisst. Aber das ist immer so. Kaum ist er wieder da, füllt er meinen Raum aus. Widme mich so lange dem Studium vergehender Pracht. Warte darauf, dass sich der Weg gabelt. Bin ganz Wegwarte (Cichorium intybus), stattlich, ausdauernd, blau gekleidet.

Montag, 28. Juni 2010

Sommer

Es schneit Pappelschnee. Die Luft ist voller Pappelflocken. Jetzt nur keine Allergie entwickeln, denn die Flusen schweben lautlos in mein Haus, setzen sich neben mich auf die Couch, feuern mit mir Brasilien an, um dann still im Teppich zu versinken. Ich mag die Pappel (Populus tremula) an sich nicht, aber diese weiche Invasion ist beeindruckend. Morgens fahren die Dinger mit mir ins Büro, verbringen den ganzen lieben Tag an meiner Seite, kleben an meinen Schuhen und gehen abends wieder mit mir nach Hause. Nachts schlafen sie in meinem Bett, ich spüre ihr Zittern auf meiner Haut. Wache ich morgens auf, muss ich niesen und der Boden wabert wie die Oberfläche von Wolken. Der kleinste Hauch lässt sie fliegen. Die Pflanzen auf dem Balkon sind wie von dickem Schimmel überzogen, nur Regen könnte sie wieder grünwaschen. Aber der Himmel ist blank.

Donnerstag, 17. Juni 2010

Natural Desasters

Als direkter Nachfahre von Frankenstein könnte dieser Mann auf YouTube Karriere machen: Blutunterlaufene Augen, hängende Lider, die Unbeholfenheit überdimensionierter Extremitäten. Dazu die Ausstrahlung eines Monsters, das unendlich müde ist. Der Mann ist ein Minister, trägt einen dunklen Anzug und bestimmt über eine Insel, auf der riesige Fici und bauschige Oleander (Nerium oleander) wachsen. Er muss aus einer einflussreichen Familie stammen, denn im Blut scheint ihm die Politik nicht zu liegen. Seine Rhetorik ist schleppend, auch liest er monoton vom Blatt. Ist das die Eigenart der Einheimischen, über die ich hier so vorschnell urteile? Dass es hier kein Wasser gibt, kann einen Minister betrüben, vor allem, weil es noch nie welches gab und dieser Zustand für die Insel ein normaler ist. Keine Katastrophenhilfe aus Mitteleuropa. Stattdessen große Kanister auf jedem Dach. Der Raum, in dem er spricht, heißt Iphigenie, hat grüne Haare ....äh Wände und rote Augen...äh Gardinen.

Dienstag, 15. Juni 2010

Zimmer 313

Mein Balkon geht auf den Pool, weiter hinten sehe ich das Meer. Die Luft ist grau, das Meer ist grau, der Strand ist grau, die Straßen sind staubig und heiß. Der Pool ist blau an grünem Ficus (Ficus benjamina). Ein prächtiges Exemplar, acht Meter hoch, kunstvoll gestutzt und mit Papierlampions geschmückt. Sein volles dunkles Laub glänzt wie nach einem Regen, doch es regnet hier monatelang nicht. Wenn ich zurück in mein Büro komme, schmeiße ich als erstes meinen Ficus raus. Der hat in Berlin nichts zu suchen und so sieht er auch aus. Mager, trocken, zerrupft, einsam. Ein Migrant. Viel zu dunkel, viel zu feucht und viel zu kalt ist es für ihn. Seit acht Jahren steht er bei mir rum und ich habe den Eindruck, sein Zustand wird immer schlechter. Jetzt, wo ich seine natürliche Umgebung sehe, kriege ich Schuldgefühle. Was habe ich ihm nur angetan? Einfach raus in den Biomüll erscheint mir nun als Lösung etwas hart. Ich könnte ihn stutzen und mit Lampions behängen. Neue Erde geben und eine Sonne an die Scheibe kleben, wo er steht. Mehr kann ich nicht tun.

Montag, 7. Juni 2010

Stilles Herz

Mein Trachten, großherzig und gerecht zu sein, ist der Traum einer Königin ohne Land. Bloße Theorie. Heute komme ich aus diesem Wald heraus. Ich kann das Gezwitschere der Vögel, das Schnarren der Insekten nicht mehr hören, den Gestank des bittersüßen Nachtschattens  (Solanum dulcamara) nicht mehr riechen. Halte mich in südliche Richtung, weil im Süden alles besser ist. Zumindest im Vergleich zum Norden. Ist mir auch langsam egal, durch wie viele Hecken ich noch klettern muss und dass die Dornen mir die Haut aufkratzen. Verteile Spucke auf dem blutigen Muster. Als sich plötzlich der Blick öffnet und mit unverschämtem Getöse ein Bus vorbeifährt, lache ich laut. Wieviel Zeit ist vergangen? Zwei Tage? Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Bin ich ein neuer Mensch oder nur ein verletzter? Die Wunden sind nur oberflächlich, tiefer geht der Schmerz der Enttäuschung. Ich kehre dem Norden meinen Rücken zu. Genug der Kälte, Schluss mit Wolle durch den Winter. Es ist nicht mehr weit bis zum Meer. 

Donnerstag, 3. Juni 2010

Quasi Brick Wall

Eine verspiegelte Mauer zwischen den Bäumen. Sie wirft mich nach meiner einsamen Nacht auf mich selbst zurück. Und ich habe gedacht, ich komme schnell hier raus. Fehlanzeige. Es scheint nicht auszureichen, dass ich immer noch auf dem Holzweg bin. Jetzt ist auch noch diese blöde Mauer da. Geschult im Multitasking versuche ich das nun zweidimensionale Problem zu lösen. Müsste ein Kinderspiel sein. Ich überlege, ob ich einfach über die Mauer klettern und dem Holzweg weiter folgen soll. Dann wäre ich zwar immer noch irgendwie falsch, hätte aber die Irritation mit den kleinen Spiegeln hinter mich gelassen. Sie reflektieren das Licht der Morgensonne und lassen den Waldboden wie ein Gewimmel aussehen. Könnte hübsch aussehen, wenn man es als Kunstwerk betrachtete. Mir kommt es vor wie Treibsand. Körniger Untergrund, der seine Festigkeit verliert und mich in die Tiefe zieht. Schnell weg hier. Bleibe beim Überwinden der Mauer an einer Ranke der gemeinen Zaunwinde (Calystegia sepium) hängen. Bloß nicht denken dass sich nun die Natur gegen mich verschworen hat. Ist nur eine Pflanze, dieser Efeu, wenn auch eine giftige. Okay Schicksal, brülle ich durch den Wald, das soll eine Prüfung sein?

Dienstag, 1. Juni 2010

Holzweg

Allein im Wald. Die rotweißen Markierungen leiten mich immer tiefer in das helle Grün. Folge ihnen einfach ohne groß nachzudenken wo ich hin will. Freue mich über die gut sichtbaren Zeichen an den Steinen. Langsam wird es dunkel, die Vögel zwitschern ihr Abendlied. Dann stehe ich plötzlich auf dem Holzweg und ganz langsam sickert die Erkenntnis in mein Bewusstsein, dass ich in die falsche Richtung gelaufen bin. Total verfranst. Ich weiß nicht mehr wo ich bin. War es mir vorhin noch schnurtzegal, weil ich im Vertrauen auf die Markierung dachte, ein bestimmtes, wenn auch nicht von mir definiertes Ziel zu verfolgen, so bin ich jetzt umso verwirrter. Die Himmelsrichtung mit Hilfe des Sonnenstands ablesen geht nicht mehr. Kaum mehr Licht vorhanden. Das Grün wird zu Grau. Ich stehe wie angenagelt auf dem Weg, nur die Gedanken in meinem Kopf bewegen sich. Im Kreis. Der Wald fängt an zu knacken. Ich taste mich zum nächsten Stamm und lasse mich an ihm nieder, Brennnesseln (Urtica dioica) werfen ihre kleinen Widerhaken in meine Haut. OK, ich werde hier im Kraut übernachten, es wird die längste Nacht meines Lebens.