Montag, 31. Mai 2010

Ohne Sonne gehört uns die Welt

Meine Tochter, ihre Freundin und ich laufen durch den Regen als würde die Sonne scheinen. Vergnügt, lachend, den Schnecken ausweichend. Moos wächst an den Stämmen, Lianen hängen. Die tropische Schwüle kräuselt unsere Haare, das mögen die Mädchen nicht. Am liebsten würden sie kleine Gewichte an den Haarenden tragen; jetzt stopfen sie die sorgsam geglätteten Mähnen unter ihre Kapuzen. Sie sind keine Grufties oder Emus, aber sie mögen sonnige Tage nicht. Viel zu heiter für die Schwere ihrer Gefühle. Der Regen lässt sie lachen. Ich freue mich, dass sie überhaupt lachen. Nicht nur Fruchtwein trinken und den Tag durchschlafen. Das Klima hat sich verändert. Es ist warm und feucht. Es ist still und einsam. Nur die Tropfen prallen mit Getöse auf uns ab. Die Mädchen stehen drauf, wenn nur die Locken nicht wären. Zu dritt setzen wir uns unter einer Trauerweide (Salix babylonica) auf den nassen Sand und sehen die leeren Ausflugsschiffe vorbeifahren. Jetzt verstehe ich. Alle anderen sind zu Hause, wir haben die Welt für uns. Ich grinse.

Donnerstag, 27. Mai 2010

Pflanzen sprechen

miteinander. Das versichert mir die Pflanzenversteherin. Sie führt mich in den Bambus (Bambuseae), hinein zu ganz kleinen Sprossen bis mastdicken Stöcken in einem streng definierten Raum. Dieser Raum geht bis drei Meter unter die Erde, damit der Bambus nicht ausbricht. Er ist ein geschwätziges Gewächs, kommuniziert mit Seinesgleichen rund um den Erdball als hätte er die neueste Generation Mobiltelefone. Doch der Bambus braucht diese primitive Technologie nicht, die Pflanzenversteherin hört ihn kichern ob der unbeholfenen Verständigung der Menschen. Für mich klingt es wie rascheln im Wind. Egal, Tatsache ist, dass sich diese Pflanzen ab und zu darauf verständigen, so wir wollen jetzt blühen. Und dann blüht diese eine Sorte auf der ganzen Welt zur gleichen Zeit. Was früher keiner bemerkt hat, weil es keine Skype-Verbindung mit Tante Winona auf Hawaii gab, die auf der Terrasse neben ihrem blühenden Bambus steht und ich plötzlich merke, dass meiner ebenfalls blüht, das aber als reinen Zufall abtue, weil ich bis vor kurzem nicht wusste, dass die sich absprechen. Die Frage nach dem Warum ist müßig, einer von diesen armseligen menschlichen Versuchen, in der Fauna und Flora einen Sinn zu sehen. Interpretation bringt auch nicht viel, ob das gemeinsame Blühen jetzt ein Akt von Solidarität (wofür?), biologische Notwendigkeit (sexuell?) oder das Hohngelächter des Bambus über die Verblüffung der Menschen ist. Ich selbst neige am ehesten zu Ersterem: Blühen für den Frieden oder so.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Das süße Leben vertreibt den Zorn

Dieser Spruch ist in den Stein einer alten Holztür gemeißelt, auf lateinisch. Ich bin im Süden und das süße Leben quillt quasi aus allen Ritzen. Verwöhnt von der Aussicht auf den Rosengarten bestelle ich einen Kaffee und der Kaffee schmeckt so gut. Blaue Wiesen voller Vergissmeinnicht. Wie könnte ich vergessen? Hier kennen sich die Leute und auch als Fremde wirst du geduzt, könnte ja sein, dass du dich hier niederlässt, hier im Süden, wo es warm und freundlich ist. Da war eben noch so viel Wut in mir. Fort. Nimm ein Stück Schinken oder trinke einen Veneziano, so pfirsichrot, fast künstlich. Ich spüre, wie mir die Sonne auf die Haare brennt. Kein Raps (Brassica napus) weit und breit.

Donnerstag, 13. Mai 2010

DoppelNull

An der Saale entlang auf dem Weg nach – München. So lieblich, so frühlingshaft lau, so hellgrün und voller Burgen. Auf den Feldern grellgelber Raps (Brassica napus). Wozu leuchtet der so intensiv? Auch ohne Sonne denke ich sie scheint. Die Bienen sollen kommen und ihren Job machen. Rapshonig produzieren, den ich mir dann aufs Brot und in den Yogitee tun kann. Rapsöl soll ja gesünder sein als Olivenöl – wegen der essentiellen Säuren und der DoppelNull: null Erucasäure und null Glucosinolate. Deshalb gut bekömmlich und sehr gesund. OK, ich mag trotzdem lieber Olivenöl, weil das nicht nach Biodiesel schmeckt und nicht nach Kosmetikindustrie riecht. Das Beste an den Rapsfeldern ist ja, dass sie nach Norden an mir vorüberziehen und ich gleich die Grenze nach Bayern überschreite. Die gefühlte Lebensqualität steigt sofort. Vorfreude auf weißes Bier, dicke Bettdecken und die Berge. Habe die Wanderschuhe schon an, damit kein Zweifel aufkommt, dass es dieses Mal richtig in die Alpen geht. Mit dem Bus über den Brenner nach Bozen. Aber jetzt erstmal Bayern durchqueren und genießen.

Dienstag, 11. Mai 2010

Guter Heinrich

Mein Fahrrad hat eine Maus getötet. Sie kommt aus der Hecke gewetzt und läuft mir direkt in die Speichen. Es knackt kurz – und ihr kleines Genick ist hin. Mausetot. Meine Hände fangen an zu zittern, das ist der Schock. Mann! Wie kann denn das passieren? Ich meine, wie groß ist die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass mir eine Maus vor die Räder rennt? Mein aufgeregtes Herz beruhigt sich wieder und ich bin froh, dass es kein größeres Tier war, ein Katze oder ein Eichhörnchen, ein Vogel oder gar ein Hund. Meine Güte, da darf ich gar nicht dran denken. Durch mein bodenlanges Fenster im Büro sehe ich manchmal eine Maus über den gepflasterten Hof laufen. Als wäre sie mit einer Sprungfeder ausgestattet, hüpft sie durch den Jägerzaun und huscht blitzschnell auf die andere Seite. Ohne zu gucken. Vielleicht guckt sie auch vorher und ich sehe es nicht. Aus dieser Entfernung kann ich nicht erkennen, wohin die Maus guckt, ich sehe sie ja immer erst, wenn sie rennt. Sie kommt dann mit irgendwas im Maul zurück, vielleicht einem Stängel vom Guten Heinrich (Chenopodium bonus-henricus), das soll schmecken wie Erdnussbutter und verschwindet wieder.

Sonntag, 9. Mai 2010

Underdog

Laufe ich nachts an der Skalitzer Straße entlang und merke, da kommt jemand von hinten, denke ich: please don´t stab me. Mein Rücken pumpt sich auf (soweit das geht), mein Schritt wird militärisch. Ich demonstriere stahlharten Widerstand. Keine Chance für ein Messer, die weiche Haut, die zarten Lungen, das weiße Fleisch zu durchdringen und nachhaltigen Schaden anzurichten. Schmerz. Nein, der von hinten kommt, ist harmlos. Ein Punk auf dem Fahrrad. Er schreit mir ins Ohr, als er auf gleicher Höhe ist, doch ich bin vorbereitet und grinse ihn breit an, bevor ich ihm mit dem Metallring um meine kleine Faust eine reinhaue. Damit hat er nicht gerechnet, er fällt vom Rad und blutet wie ein Schwein. Bevor er wütend wird, wundert er sich, wo ich geblieben bin. Ich bin schon weg, wozu sonst sollte mein tägliches Lauftraining gut sein. Schlage mich in die Büsche, durch die Berliner Brachen und den ganzen Schutt, hier wächst Gemeiner Beinwell (Symphytum officinale), auch Schwarzwurz genannt. Komme mir jetzt selber vor wie ein Underdog. So ein Punk hat keine Kondition. Keine Chance für ihn mich einzuholen. Dabei finde ich Punks interessant. Mir wäre es lieber gewesen, er wäre kein Punk, so war es, als hätte ich einen Bruder geschlagen.

Mittwoch, 5. Mai 2010

Cadiz

Eine große Welle und diese Stadt wäre weg. Ein schmaler befestigter Damm verbindet sie mit dem Festland, das aber schon seit Jahrhunderten - Jahrtausenden, wenn man das Forum Romanum betrachtet. Seit Tausenden von Jahren hat also keine Welle die Stadt erfasst. Der tosende Atlantik schickt seine Winterstürme über sie, aber geschluckt hat er sie nicht. Eine Beklemmung erfasst uns, als wir in die engen Gassen treten. Der Himmel wird zu einem schmalen Band, aus dem fächerförmig die weißeisernen Balkone fallen, Stockwerke tief. Manche sind auch Stuck, Fresko oder Keramik. Die Kacheln schlagen uns in ihren Bann und wir geraten in Verzückung über die kunstvoll gefließten Innenhöfe. Maurische Muster, Blumen, Ranken, Ornamente. Wir lassen uns gehen. Die Willkür unserer Richtungswechsel führt uns in die Shoppingmeile. Von der Plaza San Antonio bis zur Kathedrale. Auf dem Blumenmarkt duften die Nelken (Dianthi) . Ich liebe diese Blumen, bei uns haben sie einen schnöden Ruf. Wir kaufen Schuhe, bunte Blusen und T-Shirts made in España. Die Stadt ist großartig.

Samstag, 1. Mai 2010

Snake in the Sun

Mitten in der blühenden Graslandschaft Andalusiens hat er eine riesige Vase in den Hang gegraben. Olafur Eliasson. Meine Tochter, ihre Freundin und ich betreten die Vase durch einen tempelartigen Eingang. Das gefilterte Licht bricht sich in dem Pool, der die Vase umgibt, Blau um Schwarz. Andächtige Stille. Wir sind die Einzigen. Wenn wir jetzt durch dieses kleine runde Loch in der Decke in den Himmel gezogen würden – niemand würde es merken. Wofür ist die Plattform wenn nicht fürs Beamen? Andi. Kannst du uns sehen? Ein Pfau schreitet auf uns zu, schleppt nervös sein Federkleid hinter sich her. Die Mädchen haben Angst. Ich lächle und gehe auf den Pfau zu, blende ihn mit dem Blitz meiner Kamera. Der Pfau nimmt die Gestalt einer Schlange an und windet sich ins Wasser, fort. Das macht den Ort nicht weniger unheimlich. Lieber wieder raus in die flirrende Hitze. Wir stolpern den Hang hinunter durch matt schimmernden Salbei (Salvia) in ein ausgetrocknetes Flussbett. Schon wieder ein magischer Ort: River run, snake in the sun.