Freitag, 31. Dezember 2010

Bad

Das war ein mieses Jahr. Ich habe mich so oft im Wald verirrt und Andi ist erst am Ende wieder aufgetaucht und hat den ganzen Schnee gemacht. Noch nie, wirklich, habe ich so viel Zeit im Schnee verbracht. Ja, es waren auch lustige Schlittenfahrten dabei und abenteuerliche Ausflüge mit Sommerreifen auf der Flucht vor der Polizei. Vom Dach meines Hauses, also dem Haus in dem ich wohne und von dem, wenn ich aus dem Küchenfenster gucke, den Spruch auf dem Nachbarhaus sehe Mein Feld ist die weite Welt, rumpeln die Eislawinen, Platten, die tödlich sein können aber wohl noch niemanden da unten erschlagen haben. Ich kann  nix dagegen tun. Gestern stochere ich dennoch mit einem Besenstiel an den Eiszapfen rum und dann kommt so eine Scholle vom Dach, die mir den Stab aus der Hand reißt und auf meinen Kräutergarten knallt. Das ist wieder ein Beleg dafür lieber nicht in die Natur einzugreifen und langsame Schmelzvorgänge beschleunigen zu wollen. Das ist sowieso mein Thema und Vorsatz für das nächste Jahr: Entschleunigung. So ein bescheuertes Wort, aber Geduld trifft es nicht ganz und nun muss ich nur noch das richtige Elixier finden, das mir dabei hilft. Vielleicht Baldrian (Valeriana)?

Dienstag, 21. Dezember 2010

Kanada

Ich schleiche vorsichtig durch verschneite Wälder, die Konturen sind weich und manchmal ist ein Baum ein Stein, ein Stamm eine Mauer aus Schnee. Ein Mann mit einem Gewehr kreuzt meinen Weg, doch er schaut mich nicht an, stapft weiter durch eine Spur, die nur er sieht. Wenn es dunkel wird, muss ich zu Hause sein, sonst finde ich den Weg nicht mehr. Es war eine Schnapsidee, alleine das Tal runterzugehen, jetzt kann ich nur noch vorsichtig einen Schritt nach dem anderen tun, um nicht in den Bach einzubrechen, der unter mir gluckert. Ich habe Schokolade bei mir und einen Zweig Rosmarin (Rosmarinus officinalis) an dem ich ab und zu schnuppere. Er gibt mir Zuversicht. Andi, wo bist du wenn ich dich brauche. Seit er Schnee macht, hat er völlig den Verstand verloren. Diese Mischung aus Schönheit und Katastrophe fasziniert ihn, nicht nur ihn. Alles bricht zusammen, vor allem die Zivilisation, aber auch die Bäume und was weiß ich noch alles. Das Weiß macht alles harmlos, konserviert von der Kälte. Ein Schuss zerreißt die Stille. Weit fort. Aber dennoch habe ich Gänsehaut und haste tapfer weiter.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Taxi

Andi sagt er macht diesen ganzen Schnee. Er hat eine Formel aus dem Universum mitgebracht da braucht er nur mit den Fingern schnippen und schon schneit es überall. Ist doch schön im Winter. Das stimmt, wen interessiert das Chaos auf den Straßen, der selbst nicht fährt? Im Park ist Paradies. Schau in die Augen der Kinder, die sehen es auch. Dick eingemummelt lassen sie sich den Abhang runterrollen und quietschen vor Vergnügen. Bis die Bären aus dem Gebüsch kommen. Hinter den Eiben (Taxi) haben sie sich versteckt. Ihr Fell ist ganz weiß und zuerst sehen wir sie nicht. Dann stellen sie sich auf die Hinterbeine und zeigen die gelben Zähne in ihrem dampfenden Maul. Ihr Brüllen dröhnt und die Mütter packen ihren Nachwuchs und fliehen. Weg hier! Andi, was soll das mit den Bären? Ihm wird es schon wieder langweilig. Glaube ich. Mach noch mehr Schnee, bis die Stadt ganz leise wird. Und lass die Bären weg.

Montag, 13. Dezember 2010

Frankfurt, oder?

Laufe durch die Stadt und finde die Brücke nicht, schaue nach oben auf die unerwartet alten Türme und den Schnee, der darauf fällt. Dann der der Fluss in einem Bogen, der mich staunen lässt, wie elegant, wie gewaltig. Eisschollen treiben gen Norden, verdichten sich. Sind das Eisfischer da draußen? Ich dachte, die gibt es nur in Sibirien. Frauen in Pelzjacken und Männer, die hinterher gucken. Die Sprache verstehe ich nicht. Über die Brücke gehen heißt in ein Land wechseln, in das ich noch nie einen Fuß gesetzt habe und in dem mein Vater geboren ist, Vaterland. Bin Grenzgängerin in der zweiten Generation, die erste redet nicht darüber. Nein, ich bin nicht auf Spurensuche, will welche hinterlassen. Setze Wortmarken in das moderne Gebäude mit Blick auf den melancholischen Strom, alle sehen aus dem Fenster, lächeln verträumt. Freundliche Menschen mit traurigem Blick. Will sie aufheitern und überreiche einen Weihnachtsstern (Euphorbia pulcherrima), sie bedanken sich und streichen sanft über die roten Blätter.

Samstag, 11. Dezember 2010

fire my spirit

Hey Andi, ich wate heute durch knöcheltiefe Pfützen, bewege mich federleicht durch schweren Schneematsch, den Kopf im Nieselregen, die Gedanken bei dir. Zweimal halte ich rot für grün und bin fast gestorben, auf der Straße, voll mit Menschen aber ich sehe niemanden. Das Wasser macht mir meistens Angst, doch das Gluckern verdünnt mein Blut und es rauscht mir in den Ohren. Der kalte Wind ist warm vor Wonne, meine Wangen glühen und ein Leuchten sitzt auf meiner Haut, das ich nur mühsam hinter Schals, Mützen und Schirm verbergen kann. Immer wieder blitzt es hervor, bahnt sich seinen Weg nach draußen, funkelt und glitzert wie eine Lichterkette. Gut, dass es gerade viele davon gibt und meine Elektrizität völlig normal für diese Jahreszeit ist. Es schneit und taut, schneit und taut. Schneit und taut. Wann wird es endlich wieder dunkel, damit ich zurückkehren kann in die Höhle, in der du versuchst, die Zeit anzuhalten, um den Moment zu verlängern, den wir zusammen haben. Glaube ich. Kein Gras (Juncaceae) wächst, keine Fliege summt. Ich liebe diese Stille.

Freitag, 10. Dezember 2010

Andi!!

Warum taucht er immer um die Weihnachtszeit auf. Dieses Mal hat er mich im Schlaf erwischt. Plötzlich sind dieses warme Lächeln da und das duftende Haar. Wohlige Glückseligkeit strömt durch meinen Körper, Gewissheit, es ist Andi, obwohl er wieder völlig anders aussieht. Am Morgen erkenne ich ihn nicht, aber was sind schon Augen? Meistens führen sie mich aufs Glatteis, senden Informationen an die graue Masse, die diese gelangweilt in gewohnte Interpretationsmuster packt und sich ins Fäustchen lacht, wenn ich wieder drauf reinfalle. Mein schadenfrohes Gehirn. Andi hat es ausgetrickst. Er ist der Einzige, der das kann. Kommt im Dunkeln und erzählt mir von seinen Zeitreisen in bunte Wirbel jenseits des Chaos. Warum kommst du nicht mit fragt er mich. Ich weiß nicht. Bin feige und mag meine Pflanze (vinca) nicht alleine lassen, meine Tochter, ihre Freundin… Lieber diese Sehnsucht spüren, bis sie fast nicht mehr wahr ist und dann ist Andi wieder da. Ohne die Momente wäre diese Welt nichts.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Mit Wolle durch den Winter IV

30 Zentimeter Schnee und noch immer schneit es als ob etwas nachzuholen wäre. Tief im Schrank finde ich die Schneehose und den Anorak, alles hochgebirgstauglich und jetzt gut für einen Gang zum Supermarkt. Meine Tochter, ihre Freundin und ich wachsen Schlittenkufen, ihre langen Haare sind unter dicken Mützen aus nichtechter Wolle, weil die kratzt, Mama. Das stimmt, doch ich habe ein freundschaftliches Verhältnis zu diesem Jucken, weil ich weiß, dieses Wollwerk wärmt immer, egal, wie kalt es wird und egal wie nass es ist. Mit dem Schlitten holen wir einige Kisten Lebensmittel, denn der Himmel sieht so aus, als schneie er weiter und weiter. Den Mädchen gefällt dieser Einkauf, Berge von Nudeln und Chips und schon mal Schokolade für Weihnachten. Mixgetränke in Flaschen, die man einfach nur in den Flur stellen muss, ums sie jederzeit eisgekühlt trinken zu können. Orangen, Zitronen, Kiwi (Actinidia deliciosa) und Kartoffeln wie auf einer Polarexpedition. Skorbut soll nicht unser Problem werden. Es ist still. Der Verkehr ist zum Erliegen gekommen. Nur vom Rhein dröhnen die Dieselmotoren, den Schiffen macht der Schnee nix. Irgendjemand hat mir mal Schneeschuhe geschenkt für Alaska, die suche ich gleich im Keller.

Sonntag, 28. November 2010

Yucca

Verbringe wieder eine Nacht im Hotel, mitten in der City. Obwohl mein Zimmerfenster (wie immer!) direkt über dem Hoteleingang an der Straße liegt, ist es mucksmäuschenstill. Schon auf dem Weg in diese Herberge ist mir etwas mulmig, weil  mir auf der Strecke zwischen Bahnhof und Zieladresse kein einziger Mensch und nicht ein Auto begegnen. Keine Lichter in den Häusern und die Straßenlaternen schaukeln im kalten Wind. Mein Mobiltelefon sagt mir Ziel erreicht und die City-Hotel-Leuchtreklame leuchtet auf. Ist heute Fahrverbot oder Ausgangssperre? Gab es einen Giftmüllunfall in der Nähe und die Luft, die ich atme, ist verseucht? Schnell trete ich ein. Ein freundliches Kneipenambiente empfängt mich. Hinter dem Tresen, der gleichzeitig auch Empfang ist, steht Andi. Andi? frage ich. Doch der Mann sieht ihm nur ähnlich und lacht freundlich, erzählt mir sofort wo er geboren ist, dass seine Freundin das Frühstück machen wird und dass er sechs Föhne zum Ausleihen hat. Ich überlege, neulich hatte ich Alaska, also nehme ich Carrera. Der Andiähnliche führt mich in mein Zimmer, zeigt mir, wie warm er die Heizung aufdrehen kann, voll bis auf drei. Als er wieder weg ist drehe ich schnell zurück. Mein Bett steht in einem Wald aus Palmlilien (Yucca), das ist ganz schlechtes Feng Shui. Nach einer Stunde habe ich das Zimmer so umgeräumt, wie es mir gefällt. Es ist immer noch unheimlich ruhig.

Mittwoch, 17. November 2010

Stummfilm reloaded

Die langen Fahrten im Zug werden immer unterhaltsamer. So was wie Langeweile gibt es nicht. Wenn ich keine Lust zu reden habe oder mein Buch mich nicht fesselt, schaue ich einfach die Streifen mit, die sich die Jungs so reinziehen. Es sind immer Männer, jüngere und ältere. Die gucken Filme, für die würde ich wahrscheinlich nicht ins Kino gehen, Shutter Island zum Beispiel oder Machete. Letzterer ist ein wahrlich blutrünstiger Streifen, schon in den ersten zwanzig Minuten werden so an die fünfundzwanzig Personen abgeschlachtet. Eine hängt in einer Aloe (Aloe) fest. Neben Steven Seagal spielt auch Robert de Niro mit, scheint also eher einer der besseren B-Movies zu sein. Alle Männer in Machete haben an ihrer Seite extrem junge Mädchen, die attraktiv und unschuldig aussehen, auch nackt. Tatsächlich sind sie mit allen Wassern gewaschen und kennen sich hervorragend mit Schusswaffen aus. Weil ich ja die Dialoge nicht hören kann, erschließt sich mir nicht, was sie an den alten Typen finden. Eine ziemlich unangenehme Art der Emanzipation muss das sein. Oh Mann, jetzt interpretiere ich den total falschen Sinn in diesen Machetenfilm. Eine Machete ist schließlich kein Samuraischwert und da kann ich nicht erwarten, dass dahinter so etwas wie eine Philosophie steckt.

Samstag, 13. November 2010

grausam

Es regnet ohne Unterlass,
es regnet immerzu.
Die Schmetterlinge werden nass,
die Blümlein (Anemone hepatica) gehen zu.
Kleiner roter Falter
komm ach komm zu mir,
aber deinem Brüderlein
schließ` ich zu die Tür.

Dienstag, 9. November 2010

Kontakt mit dem Adel

Würde ich im Zug einen Grafen kennenlernen ohne zu wissen dass er einer ist, ich würde ihn an der eng geknüpften Weste und am unprätentiösen Gebrauch der lateinischen Sprache erkennen. Immer einen flotten Kommentar auf Lager. Und so viel Selbstbewusstsein, so viel Verantwortung für das Gemeinwohl und immens viel Interesse an den Gepflogenheiten des einfachen Volkes. Ethische Grundsätze stehen vor dem simplen Bedürfnis nach profanem Gelderwerb, schließlich macht es (das Geld) nicht mal glücklich und man kann auch seinen maroden Landsitz nicht davon instand halten. Verarmter Adel also, ja klar, zweite Klasse Fensterplatz. Nach drei Stunden miteinander fahren bin ich davon überzeugt, dass sein Geldmangel sich völlig anders anfühlt als meine Geldnot. Er fühlt sich als Spross eines umfangreichen Stammbaums nämlich trotzdem reich. Wie ein Pfennigbaum (Crassula ovata), dickblütig und widerstandsfähig. Die wachsen sogar auf der steinigen Lavaerde vulkanischer Inseln. Also exotisch trotz einheimisch. Ist schon ulkig so ein Graf.

Montag, 1. November 2010

Phantom

Kaum bin ich aus dem Büro raus sind meine Rückenschmerzen weg. Ganz vorsichtig habe ich mich den ganzen Tag bewegt, stehend telefoniert und immer wieder in die Küche oder zum Kopierer gelaufen, um dieses und jenes zu kopieren, Tee zu machen, die Pflanzen zu gießen. Mein Ficus ist kurz vor dem Exitus, die Palme sieht auch nicht gut aus, nur der Kaktus (Cactaceus) wächst und wächst. Eine zwei Meter hohe Säule, die meine geschäftlichen Aktivitäten schon seit Jahren stoisch begleitet. Ab und zu etwas Wasser reicht völlig. Sobald ich mich hinsetze, sticht ein Schmerz in mein Kreuz. Mein Körper sagt mir ich soll nicht sitzen. Meine Ärztin sagt mir, ich soll auf meinen Körper hören. Es gibt ja diese Stehpulte in den Schickimickibürokatalogen. High Level Working Units. Daran lehnen sich elegant gekleidete Büromenschen und schauen interessiert in aufgeklappte Laptops. Ich glaube, vom langen Stehen kriege ich auch Rückenschmerzen. Ich könnte zum Bäcker gehen und mir ein Brötchen holen. Kaum bin ich aus der Tür, fühle ich wie die Energie fließt und den Schmerz mitreißt. Ich setze mein Headset auf und telefoniere meine Liste runter. Es ist ein schöner Herbst hier im Park.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Katze am Kotti

Superfrüh gehe ich zum Kottbusser Damm in der Hoffnung die Bahnen streiken nicht. Ein ungewohntes Geräusch dringt durch den Lärm der Straße, ein klägliches Miau. Ich bin nicht die Einzige, die so früh unterwegs ist und die das Maunzen irritiert. In der Dunkelheit sieht man die kleine schwarze Katze kaum. Sie läuft ziellos zwischen den Fahrradständern umher und weiß offensichtlich nicht wo sie hin soll. Mit meinem Rollkoffer in der einen dem Regenschirm in der anderen Hand stehe ich da und will etwas tun. Aber was? Passanten ansprechen? Die Männer, die rauchend an mir vorbeiziehen schauen auch auf das Kätzchen. Ich glaube es hat nur ein Auge. Also total mitleiderregend, aber auch ein bisschen abschreckend. Oje, sie kommt bestimmt gleich unter die Räder, wenn sie niemand rettet. Ich kann nicht. Dann ist da der ältere Mann arabischer Abstammung, der sich plötzlich zu dem Tier herunterbeugt und es an seinem Nackenfell packt. Routiniert. Er trägt die Katze wie einen nassen Lappen zu den Hinterhöfen und setzt sie in den Liguster (Ligustrum). Ob sie dort wohnt, weiß ich nicht. Ich hoffe es. Vielleicht macht er das jeden Morgen, bevor es hell wird.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Haare nass

Gleich noch mal ins Aqualand, weil es so schön war neulich. Wenn die kreischenden Gören endlich weg sind und sich die Pärchen in das dämmrige Sauerstoffbecken zurückziehen, wird es gemütlich. Meine Tochter und ich steigen in einen der acht Whirlpools und die Luftblasen hieven uns in einen ulkigen Schwebezustand. Mein Fett wabbelt, sagt meine Tochter, dabei hat sie gar keins. Am Ende der Blubberphase sollen wir eigentlich ein paar Runden schwimmen. Damit das nicht so langweilig ist, wechselt jeden Meter das Licht in Rosa, Blau, Grün und Rot. Eine Strömung trägt uns in die Salzlagune. Wassertropfen fallen sanft und wohltemperiert auf die glitzernde Oberfläche. Schimmernde Luftalgen (Aerophyten) hängen von den Felsen. Dampf wird in die Glaskuppel gepustet und irgendjemand aus der Crew dreht die Musik laut. Zum Soundtrack von Mission Impossible flitzen bunter Laser durch den Raum, erzeugen Bilder von Fischen, Kraken, Delfinen und von Tom Cruise. Dann dröhnt Metallica über das Wasser und die ganzkörpertätowierten Muskelprotze lachen laut. Wir lachen mit. Dann tauchen wir unter und endlich sind auch unsere Haare nass.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Wellnessstress

Meine Tochter und ich gönnen uns einen Wellnessabend. Auf gutglück gehen wir ins Aqualand und die Erfahrungen vieler Kinderjahre in dieser Wasserlandschaft enttäuschen uns nicht. Es gibt Zitrussaunen und Aromabäder, Waldoasen und Moorpackungen, Kristallgrotten und Rosenquarzhöhlen, Hammam und Peeling, Steineauflegen, Ölwaschungen, Dampfduschen, Wassergymnastik, Kundalini-Yoga, Palmen (Arecaceae), Ayurvedische Streicheleinheiten und die Power Relax Massage. Mit unserer Vierstunden-All-Inklusive-Karte werden wir das gar nicht alles schaffen. Manche Angebote schließen einander auch aus finde ich. Zum Beispiel mit dem eingeölten Körper in den Whirlpool steigen. Oder nach der Quarzentspannung die Monster-Looping-Rutsche runter. Mein Masseur ist ein durchtrainierter Asiate, der lieber meine Tochter massieren würde. Im abgedunkelten YinYang-Separé walkt er mich zu sphärischen Klängen so richtig durch. So bin ich noch nie rangenommen worden, ohne Witz. Seine Muskelkraft presst mich auf die Matte, ich atme heftig in mein Handtuch und versuche, keinen Widerstand zu leisten. Ab und zu knacken Knochen, sind das meine? Habe jedes Zeitgefühl verloren, bin nur noch Rücken. Wow! Kurz bevor ich ins Nirvana tauche, krallen sich seine Hände in meinen Nacken und schütteln mich wie einen jungen Hund. Liegen bleiben, befiehlt er, deckt mich zu und verschwindet. Meine Tochter treffe ich auf dem Flur, auch sie hat Sterne in den Augen.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Hotel

Schon fast hundert Jahre gibt es dieses Hotel. Im Restaurant, ganz hinten im Nichtraucheck, bestelle ich einen Salat mit Putenstreifen. Der Kellner hat mich zuerst gar nicht gesehen und dann als er zufällig mal guckt und mich da sitzen sieht, denkt er wahrscheinlich was will die. Im Salat sind Haare. Ich schiebe die Schüssel langsam zu Seite und kippe den Veltliner hinunter. Wortlos räumt der Kellner den Teller weg, er scheint beleidigt zu sein, dass ich reklamiert habe. Sein Gesicht drückt tiefe Verachtung aus. Ich würde gerne noch einen Wein trinken. Mein Kopf will unbedingt wissen, von wem die Haare stammen. Ich muss ihn betäuben, sonst sitzt er mir die ganze Nacht im Nacken. An der Bar trinke ich einen Zweigelt, der Mann neben mir bläst mir Rauch ins Gesicht. Es gibt keine Minibar im Zimmer, die Pflanze ist aus Plastik. Im Fernsehen läuft ein Porno und erschrocken schaue ich zu, was die da machen. Ist das ein freier Kanal oder eine Direktübertragung aus dem Hinterzimmer. Irgendwie peinlich. Auch völlig unerotisch. Keine Musik, kein gedimmtes Licht, keine Haare an den Körpern. Mein bedröhnter Kopf stellt eine Verbindung her.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Dreimal Zehn

Den Blick auf den Boden geheftet laufe ich am Landwehrkanal entlang, vielleicht finde ich etwas. Schalen von Kürbis- und Sonnenblumenkernen, Kippen und Kronkorken. Das Ufer des Landwehrkanals sieht aus wie eine Pizzabude, überall die quadratischen Klappkartons gestapelt, als würde gleich ausgeliefert. Doch die Pappen sind leer, aufgegessen, wenn nicht dann fressen die Ratten den Rest. Ganz schön fett die Viecher. Mama was will die Maus. Gekreische von Müttern und Mädchen, die keine Ratten gewöhnt sind. Die Jungs versuchen sie mit ihren Stöcken aus Weide (Salix) aufzuspießen. Wenn die Wasseroberfläche nicht wäre, würde man den ganzen Müll sehen. Wer macht es sich schon neben einer Müllkippe gemütlich. Diese Frage trifft auf Berlin nicht ganz zu. Erstaunlich die Orte, die für einen Chillout ausgesucht werden, auch auf einer Verkehrsinsel kann es schön sein. Wir trinken Erdbeerwein und danach Kirschwein, sozusagen zum Kaffee aber ohne Kaffee. Von der Admiralsbrücke klingt es spanisch. Die Sonne geht genau über dem Wasser unter. Wir trinken Wodka.

Montag, 11. Oktober 2010

Die Frau mit der goldenen Jacke

Außer der goldenen Jacke trägt diese Frau die lautesten Pumps die es gibt. Schon wenn sie die Treppe hinunter steigt, klingt das, als würde sie ein Dressurpferd mit sich führen. Sie wohnt in der Dritten und hat ihren Auftritt jeden Tag um kurz vor neun. Wahrscheinlich muss sie um neun irgendwo sein, denn sie hat es immer furchtbar eilig, manchmal ist ihr Haar noch feucht. Ihre Kleiderkombi ist abenteuerlich und immer trägt sie Stöckelschuhe, auch wenn draußen Schnee liegt. Ihr Gang wirkt schwerfällig und sie schwankt, weil sie mit den zwei kleinen Punkten der Absätze kaum in der Lage ist ihr Gleichgewicht zu halten. Sie sieht aus als wäre sie schon den ganzen Tag unterwegs. Ich könnte mal in der Zweiten fragen, ob sie auch in der Wohnung so rumklappert. Aber wahrscheinlich trägt sie zuhause Leopardenpuschen, mit denen sie nach einem anstrengenden Tag auf High Heels geschmeidig das Parkett poliert. Ich stehe morgens mit meiner Kaffeetasse am Fenster, schaue auf die Blätter des Siebensterns (Trientalis europaea) und warte, bis sie kommt. Ihre Jacke reflektiert den ersten Sonnenstrahl, das Trommelkonzert ihrer Schuhe dröhnt über den Hof und dann ist sie weg.

Samstag, 9. Oktober 2010

erdähnlich

Dies ist eine ungewöhnlich lange Nichtandiphase. Wo treibt er sich herum. Es gab Nachrichten von der Entdeckung neuer Planeten in anderen Sonnensystemen, einer soll sogar erdähnlich sein. Ist Andi vielleicht dort gelandet. Ich kann mir so eine Ähnlicherde nur so vorstellen, dass es dort aussieht wie bei uns in der Wüste, trocken, staubig, heiß oder kalt mit pflanzenähnlichen Pflanzen, vielleicht Agaven (Agave). Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Lebewesen dort sind, trotz der ganzen Fiktion im Kopf. Leider ist sie aber auch mit katastrophenartigen Szenerien verbunden, weil in den Filmen oder Büchern immer etwas ex- oder implodiert. Auf jeden Fall erodiert meine Erinnerung an unsere einzigartige Berührung und krampfhaftes Festhalten an Erinnerungen heißt nicht unbedingt, dass sie nicht doch verblassen. Über Nacht ist wieder ein kleines Detail weg, die Linie seines Haaransatzes verschwimmt und ich habe den ganzen Tag Linien vor den Augen, die sich mit Küstenlinien, Straßenverläufen und Kondensstreifen am Himmel vermischen, ein blöder Liniensalat, der das gespeicherte Bild verändert. Komm bald wieder Andi.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Lautes Müsli

Lärm ist eine massive Art von Umweltverschmutzung, vor allem morgens in der Küche. Ginge es nach der Gebrauchsanleitung, würde meine Tochter ihre Körner abends mahlen und sie über Nacht einweichen. Weil sie das aber immer vergisst und ich auch, stellt sie die Maschine quasi vor dem Aufstehen an und kippt Kefir über die Körner, kurz bevor sie für eineinhalb Stunden ins Bad verschwindet. Ich wache also von diesem Höllenlärm auf und denke, das kann nicht ökologisch sein. Doch ich sage nichts, weil ich ganz begeistert bin von der neuen Müsliphase meiner Tochter. Wenn ihre Freundin übernachtet, zelebrieren sie das Frühstück richtig. Lächerlich ist zwar die Menge, sozusagen homöopathisch, die sie mit Espressolöffeln aus den kleinen Teeschalen löffeln, die seit zwanzig Jahren unbenutzt im Schrank stehen. Damit sich dieser Tick nicht so schnell verliert, steuere ich kostbare getrocknete Beeren bei, Cranberries etwa, handgepflückt aus dem schottischen Hochland, noch mit kleinen Anteilen von Flechten (Lichen) in der Packung. Oder handgeschabte Kokosraspel aus der venezolenischen Frauenkooperative La Campesina, ab und zu auch schokoliertes Kaffeebohnencrunchy aus dem kontrolliert biologischen kenianischen Hochland. Lecker.

Mittwoch, 29. September 2010

Nackt im Park

 
Die letzten warmen Strahlen treffen auf gebräunte Leiber. Ich starre hin obwohl ich sonst keine Spannerin bin. Es wäre nicht richtig, die Nackten unter ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten, aber die Frage wirft sich mir vor die Füße, bevor ich sie wegtreten kann. Sehen die nun gut aus oder nur ungewohnt. Wenn in der Hasenheide Ende September Menschen nackt auf der Bank sitzen, ist das schon was zum Hingucken, finde ich. Sie lachen fröhlich und winken mir zu. Schüchtern hebe ich die Hand zum Gruß. In der anderen Hand habe ich Eicheln (Quercus robur) gesammelt. Dann sagt einer zu mir, hey ist dir nicht warm so ganz in schwarz. Ich ziehe meinen Mantel aus und meinen Schal von den Schultern. Die Sonne scheint in meinen Nacken. Das ist doch ein Anfang sagt ein anderer, aber ich gehe vorbei. Falsch, denke ich, das ist alles.



Montag, 27. September 2010

Panik

In meinem Traum bin ich chaotisch und desorientiert. Ich buche aus Versehen zwei Hotelzimmer und da ich sie auch bezahlen muss, bewohne ich sie beide. Überall liegen meine Sachen rum, Kartons mit Schuhen, Kleider, die ich noch nie gesehen habe und Zeugs, das einfach nicht mehr in meine Koffer passt. Irgendwo ist auch der Spaß, doch er ist schwer zu finden unter der Verwirrung und der Überforderung mit der Frage, wie ich das alles wieder zusammenkriegen soll. Das Zimmermädchen gießt die Zimmerlinde (Sparrmannia africana) und sieht mich mitleidig an. Hat je schon einmal jemand Mitleid mit mir gehabt. Nicht dass ich wüsste. Warum auch. Aber hier im Traum tröstet es mich. Wie eine warme Dusche wäscht es die Panik von mir ab. Ist mir doch egal, dass ich heute eigentlich abreisen muss, es aber nicht schaffen werde, die beiden Zimmer zu räumen. Dass ich den Flieger verpassen werde und ich nicht weiß, ob ich noch Geld habe. Dass ich vielleicht für immer in diesem Hotel festsitzen werde. Bis der Hotelfriseur meine Locken rosa färbt und mein Mund ganz faltig ist.

Samstag, 25. September 2010

Berlin-Marathon

Neee, ich laufe nicht bei denen mit. Ich renne auch heute wie gewohnt durch die Hasenheide und trainiere auf winterhart. Wie meine Lieblingsstaude Echter Salbei (Salvia officinalis), dessen Blätter im Winter trocken und leblos knapp über dem gefrorenen Boden liegen, dessen Wurzel aber tief im Erdreich vom Grundwasser versorgt wird. Der Park-Ranger überholt mich dreimal auf dem Fahrrad und blinzelt mir zu. Mein Lächeln sieht wahrscheinlich ziemlich gequält aus. Die Muskeln verkrampfen vor Schmerz, mein Magen kippt. Egal. Dieses mich an die Grenze bringen gehört irgendwie dazu, woher sonst will ich wissen wozu ich fähig bin. Die Abhärtung für den Winter ist eigentlich nur notwenige Bewegung und könnte völlig überhöht metaphysische Erneuerung gegen das Zugeständnis der Materie an ihre Endlichkeit bedeuten. Den Winter und die Kälte stehe ich durch, wenn ich weiß, dass ich zwei Stunden rennen kann. Wenn der Lauf zur Erfüllung wird und die Tage nur aufeinanderfolgen, damit ich wieder laufen kann.



Donnerstag, 23. September 2010

Fantasiebiest

Beim neuen Sound von Trentemøller hebe ich plötzlich ab, yeah. Propellermäßig rotieren meine Gedanken um das Unmögliche bzw. die Sehnsucht nach dem was nicht möglich scheint. War ich nicht schon immer der Meinung, dass die Vorstellung vom Nicht Machbaren schöner ist als zu versuchen, das nicht Machbare zu erreichen. Daran verzweifeln die meisten, ich nicht. Wenn es mir gelingt, das Gewünschte nachts in einen Traum zu bringen, gibt es kein Halten mehr, dann hat das Unterbewusstsein Feuer gefangen mit grünen Funken auf Blauroten Steinsamen (Lithospermum purpureo-coeruleum). Ein paar Male bin ich geflogen, unübertroffen. Einmal habe ich Keanu Reeves geküsst und einmal Moritz Bleibtreu, ok. Über die ganz harten Sachen schreibe ich hier natürlich nicht, dazu fehlt mir der Mut. Obwohl sie, weil Grenzerfahrungen, die virtuellen Sahnestückchen im Nichterlebten sind. So kann Wirklichkeit gar nicht sein.



Dienstag, 21. September 2010

Mach schon mal Abendbrot!

Der Mann will bedient werden, wenn er nach Hause kommt. Also sagt er in der U-Bahn per Mobiltelefon schon mal an, was er essen will: Stullen mit Camembert und Salami. Alle um ihn herum grinsen ob der klaren Ansage und stellen sich vor, wie wohl der oder die aussieht, der/die zack zack spuren muss. Er selbst ist so einer auch bei Regen weiße Hose Tragender mit offenem Hemd und Goldkettchen auf der Hühnerbrust. Schnell noch mal die Wettscheine checken und die Spiegel der Pilotenbrille polieren. Entweder er wird von einem ebenso hageren, aber deutlich jüngeren Mann erwartet oder die Schnittchen werden von einer pummeligen Lebensabschnittsgefährtin mit schwarz gefärbten Haaren und diversen Piercings zurechtgemacht. Der Mann kommt also gleich nach Hause und dann essen sie die belegten Brote und trinken dazu Bier aus Plastikflaschen. Würde mich interessieren, ob es Gürkchen und Petersilie (Petroselinum crispum) dazu gibt.

Mittwoch, 15. September 2010

Bereitschaf

Heute war tatsächlich Sonne in der Hasenheide und eine Herde Schafe zog über den Columbiadamm raus aufs Tempelhofer Feld. Wie die Autos auf den Nebenstraßen in abgelegenen Bergtälern geduldig warten, bis der Auf- oder Abtrieb vorbei ist, standen auf der vierspurigen Traverse nach Neukölln alle Fahrzeuge ein paar Minuten still, bis die Schafe auf der anderen Seite waren. Das waren keine Stadthunde, die sie getrieben haben, die waren echte Schäferhunde. Ich frage mich, wie die Tiere überhaupt bis mitten rein gekommen sind. Ja, der Schäfer hat sie geführt, wahrscheinlich über die S-Bahn-Trassen, aber warum? Wächst um die ehemaligen Startbahnen besonders gutes Gras (Poaceae)? Vielleicht gibt es unter Schäfern einen unausgesprochenen Wettbewerb über die coolsten Fressplätze, Verlustvarianten eingerechnet. Die Chancen stehen gut, dass sie die Nacht überleben. Füchse gibt es viele, aber die reißen keine Schafe. Wölfe gibt es glaube ich nicht.

Samstag, 11. September 2010

lyrics

Sind grüne Hortensien schön oder geschmacklos. Der Mann, den ich sonst nicht ausstehen kann, überreicht mir eine grüne Hortensie (Hydrangea). Er meint es ehrlich, nur was? Da scheint so etwas wie echte Sympathie in seinem Blick zu liegen, warum sieht er mich so an, er hasst mich doch auch. Ich versuche ein Lächeln, gut dass wir nicht alleine sind. Die vielen Menschen um uns sind mit Unschärfe überzogen, auch ihre Geräusche dringen nicht ganz zu mir durch. Meine Konzentration liegt auf der wartenden Haltung dieses Mannes, nicht fordernd oder ungeduldig, eher erwartungsvoll und freundlich. Ich sage einen Satz. Er scheint ihn wohlwollend aufzunehmen. Seine Augen sind grün, ich dachte grau, seine Wimpern sind lang und seine Hände feingliedrig. Er trägt schwarze Chinos, ich dachte braune Cordhosen, sein Körper ist so, wie er mir bei Männern gefällt. Mein Gehirn rotiert oder ich glaube, das ist nicht das Gehirn. Er antwortet auf meinen Satz und sagt noch was dazu. Ich lache jetzt, das ist wie eine Befreiung. Wir stehen inmitten dieser Menschenmenge und grinsen uns an.

Dienstag, 7. September 2010

Im Wald mit der Familie

Schon als Kind kroch ich mit meiner Familie durchs Unterholz. Kaum hörte der Augustregen auf und erste Nebel verhüllten den Rhein waren wir unterwegs zum Pilzesuchen. Wobei wir immer welche fanden, weil wir die geheimsten Stellen kannten. Onkel Karl war Förster und Spezialist für Steinpilze und Pfifferlinge. Früher hat man sein Wissen noch nicht ans Internet verkauft oder wurde von Google Earth dabei beobachtet, wie man die handtellergroßen Spezialitäten aus dem Wald schmuggelt. Dann war ja auch lange Tschernobyl und die Pilze radioaktiv verseucht. Außer die aus dem Supermarkt. Die Familientradition habe ich unhinterfragt fortgesetzt. Kaum war meine Tochter sechs Wochen alt, trug ich sie ins Silbermoos (Bryum argenteum) und ließ sie die schweren Pilzdüfte atmen. Mit hochgesteckten Haaren und lustig bunten Gummistiefel läuft sie heute souverän querfeldein und kann ohne zu zögern Röhrlinge von Maronen und Stierlingen unterscheiden. Niemals würde sie einen Wiesenchampion mit einem Knollenblätterpilz verwechseln. So wie neulich diese Korbträger in Brandenburg. Sind fast dabei verreckt, diese Idioten.

Freitag, 3. September 2010

Spinnst du?

Die junge Frau vor mir spricht mit sich selbst. Mit gedämpfter Stimme scheint sie in eine heftige Auseinandersetzung verstrickt zu sein. Sie schaut auf ihr Spiegelbild im Fenster und zischt: Spinnst du? Immer wieder, in verschiedenen Tonlagen. Ihre Körperhaltung ist angespannt, sie gestikuliert verhalten mit ihren Händen. Ich frage mich auch manchmal, ob ich spinne, allerdings im Stillen. Noch öfters frage ich mich, ob andere spinnen, wahrscheinlich fragen die sich das auch. So spinnen alle irgendwie herum, lassen ihre Fäden durch den Spätsommer fliegen und streichen sich irritiert über das Gesicht, weil sie die unsichtbaren Fäden kitzeln wie Elfenflügel, fein wie das Zwerg-Mauseschwänzchen (Myosurus minimus).

Samstag, 28. August 2010

Fort

Sie sind wieder weg. Meine Tochter und ihre Freundin haben die meiste Zeit auf dem Alexanderplatz verbracht. Irgendwie sind sie immer wieder da gelandet, zwischen den Ständen wie ein jahreszeitverirrter Weihnachtsmarkt, der Weltuhr (die sie wahrscheinlich nicht gesehen haben) und den Artisten aus aller Welt. Zwischen den kümmerlichen Pflanzenkübeln mit Resten von Gemeiner Graukresse (Berteroa incana) stehen Portaitzeichner mit der berühmten Notre Dame Wischtechnik, Hennatatooisten, Wurst- und Drogenverkäufer  und natürlich die Straßenmusiker, zwei Jungs aus Irland, die sich Jupiter soundso nennen. Der eine, Conner, trommelt auf einem leeren Karton aus dem dm-Markt und sein Freund spielt Gitarre. Hört sich gut an, chillig. Die Mädchen möchten die CD kaufen und gehen hin, dann lachen sie verlegen, drehen sich um und rufen Mama! Ich wickle das Geschäft ab, weil sich das Schulenglisch sich in die hintersten Ecken der Mädchengehirne verkrochen hat und nicht rauskommen will, außer bei Who killed Bambi.

Montag, 23. August 2010

Holz aus Glas

Ich klopfe auf Holz uns es klingt nicht so als würde es Glück bringen. Es hört sie vielmehr nach dünner Glasdecke an, nach Hohl- und Leerraum. Auf die Designermöbel ist kein Verlass mehr. Sie sehen aus wie massive Buchenplatten und sind bedrucktes Glas. Welchen Sinn hat diese Täuschung? Vielleicht der philosophische Hintergrund des Künstlers, nichts ist wie es scheint. Trompe-l´oeil an den Wänden, die Perspektive verspricht, wo keine ist. Oder ist auch das Klopfen auf Glas schicksalbegünstigend? Mit meinem Fake Diamantring ritze ich kleine Kratzer in die Oberfläche. Kann nicht schaden, wenn ich mich hier verewige, auch in Stämme werden Herzen geritzt, die Jahre später einige Meter weiter nach oben gewachsen sind. Dieses Glas wird sich nicht bewegen, höchstens zerschlagen werden, eingeschmolzen, neu designt. Das ist immer der letzte Trost: Wir bewegen uns in der immer gleichen Massen von Materie, sie nimmt nur andere Formen an. Mein erster Goldfisch ist nun Sand am Strand von Helgoland, rostiger Flecke auf dem Zahnputzbecher und Wurzel der gemeinen Nachtkerze (Oenothera biennis).

Freitag, 13. August 2010

Bambi on Ecstacy

Meine Tochter und Ihre Freundin verbringen ihre Ferien in Berlin, wo es an jeder Ecke Tatoostudios gibt. Man kann in den schwarzen Sesseln chillen, während die Nadel die Umrisse eines kleinen süßen Rehleins in die Haut ritzt. Bambi ist in. Ausschnitte aus dem Kinderfilm von anno wasweißich laufen auf Youtube. Die Kinderstimme kommt mir bekannt vor, sie sagt Vokabeln aus vergangener Zeit, prima, dufte und ja, Mama. Wahrscheinlich eine tief vergrabene Erinnerung in den hintersten Windungen meines Gehirns. Als der Film rauskam, hatten wir zuhause noch einen Schwarzweiß-Fernseher und auf der Fensterbank stand ein Gummibaum (Ficus elastica). Der Tatooist trägt die Farben auf, rehbraun und kohleschwarz. Die Mädchen zucken nicht mit der Wimper. Nur eine kleine Tränenperle rollt über ihre Wangen.

Donnerstag, 5. August 2010

Reeking Hell

Es riecht nach nassem Hund. Auch die zweite Hälfte des Traumsommers wird von widerlichen Gerüchen begleitet. Schon mal an feuchten Margeriten (Chrysanthemum leucanthemum) geschnuppert? Habe mich gefreut über den ersten Regen, der in dicken Wolken aus Westen heranrollte. Nun hört es gar nicht mehr auf und der feuchtwarme Mief ist unerträglich. Bin dankbar für jedes Schild Wir müssen draußen bleiben – als könnten Hunde lesen. Ihre Frauchen scheinen immun zu sein gegen den Gestank. Bin keine Hundehasserin. Wie meine Tochter und ihre Freundinnen finde ich Golden Retreaver süß. Wenn sie am Rheinufer Löcher buddeln und brav das Stöckchen bringen, mich als Läuferin nicht anspringen oder gar schnappen. Ihr sandfarbenes Fell leuchtet in de Sonne. Habe neulich im dm-Markt bei den Haarfärbemitteln die Nuance Golden Retreat gesehen, das ist ein Witz, oder? Es gibt auch Irish Sunset und Black Poodle, Creamy Shirley und Rose Bud für die ganz Durchgestylten. Ich hoffe, Douglas kommt nicht auf die Idee, den Geruch zu imitieren und teuer zu verkaufen, Reeking Hell.

Mittwoch, 21. Juli 2010

Nachbarin

Träume von Kristina Schröder, das ist die Familienministerin. In meinem Traum wohnt sie zwei Häuser weiter und unsere Kinder spielen zusammen. Nicht weit fließt ein großer Fluss und wir sind ständig in Sorge um unsere Kleinen. D.h. ich bin in Sorge, denn sie verlässt sich voll darauf, dass ich ihren Zögling mit im Auge behalte, schließlich habe ich ja zwei Kinder und sie nur eins, also bitte. Ihr Mann ist im Garten und präpariert den Rasensprenger, so dass statt Wasser Wodka sprudelt. Eine witzige Idee für die Erwachsenen, findet er. Die kleinen blauen Blüten des Ehrenpreis (Veronica triphyllos) gehen sofort davon kaputt. Kristina Schröder sieht mich nie direkt an, auch wenn ich ihr abends das Kind zurückbringe, das den ganzen Tag in meinem Haus gespielt, gegessen und geschlafen hat. Sie trägt eine Kette aus schwerem Gold und ein Glas aus schwerem Kristall. Ihr Kind ist in einen weißen Pelz gekleidet, so wie der Junge, der im Traum plötzlich bei den wilden Kerlen landet und schrecklichen Lärm macht.

Samstag, 17. Juli 2010

Amanda

ist der Titel eines Romans aus den Achtzigern. Damals sind Mädchen mit langen Beinen noch Rollerskates gefahren. Amanda ist eine dieser jungen Frauen. Sie lebt mit ihrer Katze irgendwo im Westen der USA und wundert sich, dass der Lack ihrer Fingernägel im gleichen Muster abblättert wie ihre Katze Tapetenstücke von der Wand reißt. Sie blickt auf ihre Nägel, dann auf die zerklüftete Wand und vermutet einen Zusammenhang. Um diesen Zusammenhang geht es dann in diesem Buch. Gefällt mir so gut, dass ich meine Tochter nach ihr benenne, nur den Zweitnamen, aber immerhin als bleibende Erinnerung. Meine Tochter ist jetzt auch eines dieser langbeinigen Mädchen und heute feiert sie Geburtstag mit ihren Freundinnen, die auch alle wunderschön sind, nach wilden Rosen (Rosa rugosa) duften und eine mächtige Portion Humor haben. Das jedenfalls schließe ich aus ihrem zügellosen Gekicher.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Im Gurkenhimmel

Ich esse nur noch Gurken. Seit ich neulich diese wunderbare kalte Gurkensuppe gegessen habe, kann ich an nichts anderes mehr denken. Die Frau an der Kasse lächelt mich an, ich habe sechs Gurken auf dem Band. Am liebsten würde ich ihr erzählen wie das Rezept geht: die Gurken schälen und kleinschneiden, mit Kefir, Knoblauch, Kresse (lepidium sativum)  und Salz zu einem Smoothie pürieren, zwei Stunden in den Kühlschrank stellen. Meine Tochter und ihre Freundin lachen mich aus. Doch nachdem sie vorsichtig eine mikroskopische Probe zu sich genommen haben, wollen sie plötzlich mehr. Bei ihnen wirkt es auch.

Sonntag, 11. Juli 2010

Mondsegel

Wir schlafen draußen, mein Schlafgefährte und ich. Der laue Wind streichelt unsere Haut. Über uns nur das Firmament und ein Stück vom Sonnen- jetzt Mondsegel. Direkt unter dem All zu liegen hat etwas Bedrohliches, auch wenn vertraute Atemzüge neben mir sind. Würde jetzt eine Verbindung nach dort geschaffen und mich hochziehen, wäre ich in Null Komma nix weg. Tagsüber im Freibad habe ich solche Gedanken nicht. Jetzt schon. Stelle mir vor, wie ein kleiner tornadoähnlicher Schlauch mich einsaugt und direkt in die Milchstraße wirbelt.  Ich hätte nur Unterwäsche an, wäre das ok für die Anwohner? Meine Fantasie hält mich wach, dann donnert es und einige Böen lassen den Stoff des Segels flattern. Der Rosmarin (Rosmarinus officinalis) glitzert silbern. Mein Herz rast, mein Körper schüttet Adrenalin aus. Welcher Instinkt bricht hier durch und warum nur bei mir? Möchte gerne in den Schutz der Mauern, aber dort lauert die Hitze. Mein Schlafgefährte blinzelt mich verschlafen an, ich zucke mit den Schultern und stehe auf, gehe zum Kühlschrank und trinke kaltes Wasser.

Samstag, 10. Juli 2010

Tod und Chaos

Achtzig Minuten Verspätung. Dafür neue Landschaften gesehen, zuerst kühle Wasserflächen, auf denen Seerosen (Nymphaea) schwammen. Jetzt die Weite der Kornfelder auf der Nebenstrecke durchs Hinterland. Die Hauptstrecke ist blockiert mit Körperteilen. Hat sich wieder einer hingematscht und dafür gesorgt, dass ein halber Tag Chaos entsteht. Kann man das in dieser perfekt organisierten Welt nicht auch anders hinkriegen? Ich kann gelassen sein, denn ich habe keinen Termin. Die anderen hier schon und die Stimmung ist Strom. Der ist ja leider nicht nutzbar. Neben mir hampelt ein Lehrer herum, zieht seine ecco-Sandalen aus und fläzt sich auf den Sitz. Sein Hemd rutscht hoch und ich gucke auf einen weißen haarigen Bauch. Er gähnt wiederholt in hohen Oktaven und raschelt mit seiner Brötchentüte. Muss ich wieder meine Augen-zu-Ohren-zu-Nase-zu-Übung machen? Ich habe meinen Platz schon zweimal gewechselt. Überall Lehrer. Die müssen Ferien haben. Reisen mit der Bahn durch Deutschland und diskutieren mit dem Zugbegleiter über kostenlose Kaltgetränke. Verpassen ihre Anschlusszüge und geraten völlig aus dem Konzept. Manche lachen nervös. Mir gefällt das nicht.

Mittwoch, 7. Juli 2010

üben üben üben

Ich laufe in der Mittagshitze, denn abends ist es noch heißer. Außerdem ist heute Abend Fußball. Gerüche steigen aus dem Boden, was verrottet da? Vogelknöterich (Polygonium aviculare)? Ich will es nicht wissen und eigentlich auch nicht riechen. Nicht riechen und nicht hören wollen ist anstrengend, weil manuelle Hilfe nötig ist. Kann mir nicht gleichzeitig die Nase und beide Ohren zuhalten, zumindest nicht während des Laufens. Sonst schon: Mit den Daumen die beiden Ohrzäpfchen bis zum Anschlag reindrücken und die Zeigefinger seitlich fest gegen die Nasenwände pressen. Mit den anderen Fingern könnte ich mir jetzt sogar noch den Mund zuhalten, aber mein Mundwerk habe ich jetzt unter Kontrolle.
Das ist nicht immer so. Warum rutschen mir Wörter und Sätze heraus, die ich nicht sagen will? Nach so vielen Jahren gepflegter Konversation und wohlproportionierter Argumentation übernimmt plötzlich dieser kleine Dämon den Zauberstab und lässt es krachen. Ist so eine Bemerkung einmal ausgesprochen, kann sie nichts zurücknehmen. Sie steht im Raum wie ein Schrank. Groß und gemein. Daran denke ich, wenn ich laufe. Versuche, den Schrank aus meinem Gedächtnis zu schieben. Gäbe es eine Übung, wie man solche Schränke vermeidet, ich würde üben üben üben.

Montag, 5. Juli 2010

Kresse ist wohl Anwältin

Auf meiner wöchentlichen Fahrt nach Berlin sitze ich wie immer in Wagen 32. Das ist ein Ruhebereich, telefonieren und laute Gespräche sind zu vermeiden. Ein Piktogramm, bei dem ein Androgyn die Lippen schürzt und den erhobenen Zeigefinger davor hält, weist darauf hin. Psst. Viele Zuggäste wissen das und reservieren absichtlich einen ruhigen Platz. Andere Zuggäste kennen diese Regel nicht und verstoßen daher recht schnell gegen sie. Ich sitze also und lese. Hinter mir sitzt und arbeitet Frau Kresse (Lepidium sativum). Sie raschelt mit und zerreißt Papier, dann hat sie ein etwas längeres Mandantengespräch mit oder über Jürgen Schmidt über ein falsch verlegtes Heizungsrohr, das nun wieder entfernt werden muss. Außerdem hat der Handwerker den dabei anfallenden Müll nicht anständig entsorgt. Der hat einfach seinen Dreck liegen gelassen, Schutt, Kabelenden und so, Sondermüll eben. Nach einer halben Stunde wissen dann alle in Wagen 32, dass Frau Kresse selbst die Geschädigte ist. Das erklärt ihre gestresste Stimme, die jetzt leicht hysterisch zwischen den Sitzen hindurch quillt. Die anderen Zuggäste gucken schon, manche runzeln die Stirn. Wer wird es zuerst wagen, Frau Kresse zur Ordnung zu rufen? Was, wenn sie den gleichen Ton anschlägt, den sie auch ins Telefon keift? Lieber einen neuen ruhigeren Platz suchen. Auch ich ziehe Leine.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Froschmann

In der U-Bahn sehe ich den Froschmann. Er sitzt mir gegenüber in einer grün-grauen Taucherjacke, an seinem Handgelenk leuchtet digital eine dicke garantiert wasserdichte Uhr. Ob sie anzeigt, wie tief wir hier mit der Bahn in die Erde tauchen? Kann ich nicht erkennen. Flossen hat er nicht an. Leichter Gummigeruch steigt mir in die Nase. Dieser Mann atmet nicht durch eine Atemmaske und trotzdem ist etwas Mechanisches in seinem Luftholen. Er zieht die Luft tief in sich herein, dabei richtet sich sein Körper auf, die dicken Gummirollen seiner Jacke glätten sich. Beim Ausströmen der Luft sackt der ganze Mann zusammen, ein fetter Frosch. Wahrscheinlich hat er nicht das Geringste mit Wasser zu tun, sondern das Taucheroutfit ist reiner Zufall. Ich glaube, ich habe solche Jacken schon in Läden auf der Hermannstraße gesehen. Habe mir dann vorgestellt, wie sich mangels Lüftung die Körperwärme staut und wie man dann ins Schwitzen kommt. Würde der Mann den Reißverschluss öffnen, käme ein Geruch wie Stinkender Storchschnabel (Geranium robertianum) heraus und ich müsste mit dem Brechreiz kämpfen.

Dienstag, 29. Juni 2010

Bewunderung ist albern

Hm, es gibt also doch noch Menschen, die mich überraschen. Bin platt von so viel Understatement. Wirft mir zwar ein paar Brocken hin, der Professordoktor, doch ich picke nur und nicke höflich. Jetzt, wo ich plötzlich mehr weiß, bin ich nachhaltig beeindruckt. Manche haben eine Energie für viele. Ich gehöre nicht dazu, obwohl ich auch etwas mehr habe als andere. Ist schwer zu messen, eher zu spüren. Da ist eine Wellenlänge, auf der ich reite, eine Sonne, deren Wärme ich aufsauge, ein Knistern, in das ich mich wickle. Seelenverwandtschaft. Was für ein großes Wort. Zu gewaltig für mein kleines umfassendes Wohlgefühl, für die Gewissheit, nicht allein in diesem Universum zu sein. Wo ist eigentlich Andi abgeblieben? Habe seit Monaten nix mehr von ihm gehört. Muss in entfernten Galaxien herumschwirren. Komisch, ich habe ihn gar nicht richtig vermisst. Aber das ist immer so. Kaum ist er wieder da, füllt er meinen Raum aus. Widme mich so lange dem Studium vergehender Pracht. Warte darauf, dass sich der Weg gabelt. Bin ganz Wegwarte (Cichorium intybus), stattlich, ausdauernd, blau gekleidet.

Montag, 28. Juni 2010

Sommer

Es schneit Pappelschnee. Die Luft ist voller Pappelflocken. Jetzt nur keine Allergie entwickeln, denn die Flusen schweben lautlos in mein Haus, setzen sich neben mich auf die Couch, feuern mit mir Brasilien an, um dann still im Teppich zu versinken. Ich mag die Pappel (Populus tremula) an sich nicht, aber diese weiche Invasion ist beeindruckend. Morgens fahren die Dinger mit mir ins Büro, verbringen den ganzen lieben Tag an meiner Seite, kleben an meinen Schuhen und gehen abends wieder mit mir nach Hause. Nachts schlafen sie in meinem Bett, ich spüre ihr Zittern auf meiner Haut. Wache ich morgens auf, muss ich niesen und der Boden wabert wie die Oberfläche von Wolken. Der kleinste Hauch lässt sie fliegen. Die Pflanzen auf dem Balkon sind wie von dickem Schimmel überzogen, nur Regen könnte sie wieder grünwaschen. Aber der Himmel ist blank.

Donnerstag, 17. Juni 2010

Natural Desasters

Als direkter Nachfahre von Frankenstein könnte dieser Mann auf YouTube Karriere machen: Blutunterlaufene Augen, hängende Lider, die Unbeholfenheit überdimensionierter Extremitäten. Dazu die Ausstrahlung eines Monsters, das unendlich müde ist. Der Mann ist ein Minister, trägt einen dunklen Anzug und bestimmt über eine Insel, auf der riesige Fici und bauschige Oleander (Nerium oleander) wachsen. Er muss aus einer einflussreichen Familie stammen, denn im Blut scheint ihm die Politik nicht zu liegen. Seine Rhetorik ist schleppend, auch liest er monoton vom Blatt. Ist das die Eigenart der Einheimischen, über die ich hier so vorschnell urteile? Dass es hier kein Wasser gibt, kann einen Minister betrüben, vor allem, weil es noch nie welches gab und dieser Zustand für die Insel ein normaler ist. Keine Katastrophenhilfe aus Mitteleuropa. Stattdessen große Kanister auf jedem Dach. Der Raum, in dem er spricht, heißt Iphigenie, hat grüne Haare ....äh Wände und rote Augen...äh Gardinen.

Dienstag, 15. Juni 2010

Zimmer 313

Mein Balkon geht auf den Pool, weiter hinten sehe ich das Meer. Die Luft ist grau, das Meer ist grau, der Strand ist grau, die Straßen sind staubig und heiß. Der Pool ist blau an grünem Ficus (Ficus benjamina). Ein prächtiges Exemplar, acht Meter hoch, kunstvoll gestutzt und mit Papierlampions geschmückt. Sein volles dunkles Laub glänzt wie nach einem Regen, doch es regnet hier monatelang nicht. Wenn ich zurück in mein Büro komme, schmeiße ich als erstes meinen Ficus raus. Der hat in Berlin nichts zu suchen und so sieht er auch aus. Mager, trocken, zerrupft, einsam. Ein Migrant. Viel zu dunkel, viel zu feucht und viel zu kalt ist es für ihn. Seit acht Jahren steht er bei mir rum und ich habe den Eindruck, sein Zustand wird immer schlechter. Jetzt, wo ich seine natürliche Umgebung sehe, kriege ich Schuldgefühle. Was habe ich ihm nur angetan? Einfach raus in den Biomüll erscheint mir nun als Lösung etwas hart. Ich könnte ihn stutzen und mit Lampions behängen. Neue Erde geben und eine Sonne an die Scheibe kleben, wo er steht. Mehr kann ich nicht tun.

Montag, 7. Juni 2010

Stilles Herz

Mein Trachten, großherzig und gerecht zu sein, ist der Traum einer Königin ohne Land. Bloße Theorie. Heute komme ich aus diesem Wald heraus. Ich kann das Gezwitschere der Vögel, das Schnarren der Insekten nicht mehr hören, den Gestank des bittersüßen Nachtschattens  (Solanum dulcamara) nicht mehr riechen. Halte mich in südliche Richtung, weil im Süden alles besser ist. Zumindest im Vergleich zum Norden. Ist mir auch langsam egal, durch wie viele Hecken ich noch klettern muss und dass die Dornen mir die Haut aufkratzen. Verteile Spucke auf dem blutigen Muster. Als sich plötzlich der Blick öffnet und mit unverschämtem Getöse ein Bus vorbeifährt, lache ich laut. Wieviel Zeit ist vergangen? Zwei Tage? Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Bin ich ein neuer Mensch oder nur ein verletzter? Die Wunden sind nur oberflächlich, tiefer geht der Schmerz der Enttäuschung. Ich kehre dem Norden meinen Rücken zu. Genug der Kälte, Schluss mit Wolle durch den Winter. Es ist nicht mehr weit bis zum Meer. 

Donnerstag, 3. Juni 2010

Quasi Brick Wall

Eine verspiegelte Mauer zwischen den Bäumen. Sie wirft mich nach meiner einsamen Nacht auf mich selbst zurück. Und ich habe gedacht, ich komme schnell hier raus. Fehlanzeige. Es scheint nicht auszureichen, dass ich immer noch auf dem Holzweg bin. Jetzt ist auch noch diese blöde Mauer da. Geschult im Multitasking versuche ich das nun zweidimensionale Problem zu lösen. Müsste ein Kinderspiel sein. Ich überlege, ob ich einfach über die Mauer klettern und dem Holzweg weiter folgen soll. Dann wäre ich zwar immer noch irgendwie falsch, hätte aber die Irritation mit den kleinen Spiegeln hinter mich gelassen. Sie reflektieren das Licht der Morgensonne und lassen den Waldboden wie ein Gewimmel aussehen. Könnte hübsch aussehen, wenn man es als Kunstwerk betrachtete. Mir kommt es vor wie Treibsand. Körniger Untergrund, der seine Festigkeit verliert und mich in die Tiefe zieht. Schnell weg hier. Bleibe beim Überwinden der Mauer an einer Ranke der gemeinen Zaunwinde (Calystegia sepium) hängen. Bloß nicht denken dass sich nun die Natur gegen mich verschworen hat. Ist nur eine Pflanze, dieser Efeu, wenn auch eine giftige. Okay Schicksal, brülle ich durch den Wald, das soll eine Prüfung sein?

Dienstag, 1. Juni 2010

Holzweg

Allein im Wald. Die rotweißen Markierungen leiten mich immer tiefer in das helle Grün. Folge ihnen einfach ohne groß nachzudenken wo ich hin will. Freue mich über die gut sichtbaren Zeichen an den Steinen. Langsam wird es dunkel, die Vögel zwitschern ihr Abendlied. Dann stehe ich plötzlich auf dem Holzweg und ganz langsam sickert die Erkenntnis in mein Bewusstsein, dass ich in die falsche Richtung gelaufen bin. Total verfranst. Ich weiß nicht mehr wo ich bin. War es mir vorhin noch schnurtzegal, weil ich im Vertrauen auf die Markierung dachte, ein bestimmtes, wenn auch nicht von mir definiertes Ziel zu verfolgen, so bin ich jetzt umso verwirrter. Die Himmelsrichtung mit Hilfe des Sonnenstands ablesen geht nicht mehr. Kaum mehr Licht vorhanden. Das Grün wird zu Grau. Ich stehe wie angenagelt auf dem Weg, nur die Gedanken in meinem Kopf bewegen sich. Im Kreis. Der Wald fängt an zu knacken. Ich taste mich zum nächsten Stamm und lasse mich an ihm nieder, Brennnesseln (Urtica dioica) werfen ihre kleinen Widerhaken in meine Haut. OK, ich werde hier im Kraut übernachten, es wird die längste Nacht meines Lebens.

Montag, 31. Mai 2010

Ohne Sonne gehört uns die Welt

Meine Tochter, ihre Freundin und ich laufen durch den Regen als würde die Sonne scheinen. Vergnügt, lachend, den Schnecken ausweichend. Moos wächst an den Stämmen, Lianen hängen. Die tropische Schwüle kräuselt unsere Haare, das mögen die Mädchen nicht. Am liebsten würden sie kleine Gewichte an den Haarenden tragen; jetzt stopfen sie die sorgsam geglätteten Mähnen unter ihre Kapuzen. Sie sind keine Grufties oder Emus, aber sie mögen sonnige Tage nicht. Viel zu heiter für die Schwere ihrer Gefühle. Der Regen lässt sie lachen. Ich freue mich, dass sie überhaupt lachen. Nicht nur Fruchtwein trinken und den Tag durchschlafen. Das Klima hat sich verändert. Es ist warm und feucht. Es ist still und einsam. Nur die Tropfen prallen mit Getöse auf uns ab. Die Mädchen stehen drauf, wenn nur die Locken nicht wären. Zu dritt setzen wir uns unter einer Trauerweide (Salix babylonica) auf den nassen Sand und sehen die leeren Ausflugsschiffe vorbeifahren. Jetzt verstehe ich. Alle anderen sind zu Hause, wir haben die Welt für uns. Ich grinse.

Donnerstag, 27. Mai 2010

Pflanzen sprechen

miteinander. Das versichert mir die Pflanzenversteherin. Sie führt mich in den Bambus (Bambuseae), hinein zu ganz kleinen Sprossen bis mastdicken Stöcken in einem streng definierten Raum. Dieser Raum geht bis drei Meter unter die Erde, damit der Bambus nicht ausbricht. Er ist ein geschwätziges Gewächs, kommuniziert mit Seinesgleichen rund um den Erdball als hätte er die neueste Generation Mobiltelefone. Doch der Bambus braucht diese primitive Technologie nicht, die Pflanzenversteherin hört ihn kichern ob der unbeholfenen Verständigung der Menschen. Für mich klingt es wie rascheln im Wind. Egal, Tatsache ist, dass sich diese Pflanzen ab und zu darauf verständigen, so wir wollen jetzt blühen. Und dann blüht diese eine Sorte auf der ganzen Welt zur gleichen Zeit. Was früher keiner bemerkt hat, weil es keine Skype-Verbindung mit Tante Winona auf Hawaii gab, die auf der Terrasse neben ihrem blühenden Bambus steht und ich plötzlich merke, dass meiner ebenfalls blüht, das aber als reinen Zufall abtue, weil ich bis vor kurzem nicht wusste, dass die sich absprechen. Die Frage nach dem Warum ist müßig, einer von diesen armseligen menschlichen Versuchen, in der Fauna und Flora einen Sinn zu sehen. Interpretation bringt auch nicht viel, ob das gemeinsame Blühen jetzt ein Akt von Solidarität (wofür?), biologische Notwendigkeit (sexuell?) oder das Hohngelächter des Bambus über die Verblüffung der Menschen ist. Ich selbst neige am ehesten zu Ersterem: Blühen für den Frieden oder so.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Das süße Leben vertreibt den Zorn

Dieser Spruch ist in den Stein einer alten Holztür gemeißelt, auf lateinisch. Ich bin im Süden und das süße Leben quillt quasi aus allen Ritzen. Verwöhnt von der Aussicht auf den Rosengarten bestelle ich einen Kaffee und der Kaffee schmeckt so gut. Blaue Wiesen voller Vergissmeinnicht. Wie könnte ich vergessen? Hier kennen sich die Leute und auch als Fremde wirst du geduzt, könnte ja sein, dass du dich hier niederlässt, hier im Süden, wo es warm und freundlich ist. Da war eben noch so viel Wut in mir. Fort. Nimm ein Stück Schinken oder trinke einen Veneziano, so pfirsichrot, fast künstlich. Ich spüre, wie mir die Sonne auf die Haare brennt. Kein Raps (Brassica napus) weit und breit.