Montag, 28. November 2011

back

Ich fange jetzt wieder an zu berichten. Bin fünf Monate mit Andi in einem anderen Sonnensystem gewesen, habe Sand geatmet und Schwefel gespuckt. Trotzdem sind meine Atemwege frei und meine Augen so klar wie nie. Der Horizont ist eine Kurve. Das Dauerhoch der Schwerelosigkeit ist zu Ende, aber Andi kennt (natürlich) einen Weg, wie ich ein künstliches High erzeugen kann. Es bleibt ein Geheimnis, so lange, bis er wieder Geld braucht, um weiterzuziehen. Auf der Straße scheine ich zu leuchten wie ein Neon. Freundlich wenden sich fremde Menschen an mich mit Fragen zum Weg dort und dahin. Berlin, Hamburg, Köln und Frankfurt. Ich kenne mich zwar nicht überall aus, aber eine konkrete Antwort akzeptieren sie alle. Abends jongliere ich mit Mandarinen. Es duftet nach Tannen (abies).

Freitag, 12. August 2011

selfish brain


Dass das Gehirn eine eigenständige Existenz im Körper führt und den Rest seiner stofflichen Umgebung komplett durcheinanderbringt, kenne ich. Verliebt sein und Nichteinschlafenkönnen sind die besten Beispiele. Warum die Person der Begierde sich derart tief in die hinter der Netzhaut liegende Kodierung des Beuteschemas brennen muss, so dass die unfreiwillige Tätowierung bis in die Gedärme rumort, weiß nur das Gehirn. Die damit verbundene Schwierigkeit einzuschlafen, weil die Herzfrequenz auf ja, ich will, egal wie spät es jetzt ist und eigentlich haben wir uns noch gar nicht kennengelernt, getuned ist. Und obwohl ich weiß, dass hinter diesem selfish brain-Unfug meistens Andi steckt, gehe ich immer wieder in die Falle. Liege im Dämmer auf der linken Seite und mein Herz hämmert mir an die Rippen. Drehe mich auf die andere Seite, das Gehirn geht auf remote und spielt mir zum xten Male die Szene der ersten Begegnung vor. Ich vergesse sie nicht!! Macht es Sinn, mit dem eigenen Gehirn zu sprechen? Unterscheidet mich das von einer Pflanze, zum Beispiel einer fleischfressenden Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula)?

Mittwoch, 20. Juli 2011

Mein Schatz

ist groß. Er kam vor geraumer Zeit unerwartet als Mädchen zur Welt, die mir meiner rosigen Erscheinung wegen einen gesunden Jungen eingeredet hat. Nun schauen alle auf diese   schöne Tochter und ich bin so stolz wie Oskar - wie sie vielleicht heißen würde wäre sie kein Mädchen geworden. Jedes Jahr Sommergeburtstage mit kichernden Mädchen und dem einen Jungen, der seit dem Kindergarten ihr bester Freund geblieben ist. Er kauft ihr ein Kleid, sie berät ihn in Beziehungsfragen, seine Freundin ist eifersüchtig auf sie, ihr Freund und er sind gute Freunde. Sie sind im gleichen Monat geboren und seine Mutter gab ihm Puppen in die Hand, die er wie Bagger einsetzt und die Erde damit aufwühlt. Wir lachen darüber was vorher ernst gemeint war, die beiden sind wie die Blütenkätzchen einer Weide (Salix), silber ist der Glanz auf ihrer Haut und ihre Unbekümmertheit ist ansteckend.

Freitag, 17. Juni 2011

Glühend heiß

fließt die Lava unter unseren Füßen. Nur ein kleines Stück Straße trennt uns vom Feuer, wir flüchten über eine Mauer in den Garten eines Mannes, der einen Dolch trägt. Immer mehr Menschen drängen auf sein Grundstück und bitten um Unterschlupf, auf dem Weg in sein Haus ersticht er sie. Mein Schlafgefährte ist tödlich an der Hüfte getroffen, ein sauberer Schnitt aus dem kein Blut fließt, doch sein Blick ist schon im Jenseits. Ich weiche zurück hinter die mageren Büsche, zertrete zarte Schachbrettlilien (Fritillaria meleagris), doch mein Versteck ist nicht sicher. Behände springt der Mann auf mich zu, schwingt die Klinge über seinem Kopf und ich sehe die blanke Schneide auf mich zukommen, spüre die Luftbewegung und dann ist Ende. Ich bin tot. Habe nichts gespürt, nur den kurzen Augenblick des Schreckens, der schon voll der Trauer war. Die Dramatik in meinem Traum amüsiert mich, es gibt allerhand zu verarbeiten.

Sonntag, 5. Juni 2011

Lord of Goldschmuck

Aus dem Schlamm hebe ich zwei goldene Ringe auf. Der eine ist unregelmäßig mit Brillis besetzt, der andere ist eine Art Siegelring mit dem Abbild unserer heiligen Frau. Hm, solch fetten Schmuck sehe ich schon mal in der U 8 kurz vorm Kotti an der Hand weißgekleiderter Dunkelhäutiger, die mindestens hundertzwanzig Kilo wiegen. Jetzt stehe ich in der Sonne, die Ringe blitzen und ich schaue mich vorsichtig um, es ist niemand in der Nähe. Ich überleg kurz, wiege das Gold in meiner Hand und bringe es kurz entschlossen zur Kasse, das hat wohl jemand verloren. Dann springe ich in den Pool und schwimme ein paar Runden. Als ich herauskomme, steht im Gegenlicht ein Mann, der mich anschaut. Er fragt nach den Ringen und berührt mich am Arm, in kürzester Zeit fließt eine Menge Energie. Andi. An den Augen erkenne ich dich, der Rest von dir sieht anders aus, doch ganz nach meinem Geschmack. Der Mann holt seine Ringe und ich frage mich, wie er und sie zusammenpassen. Abwesend zupfe ich einen Echten Haarstrang ( Peucedanum officinale) in seine Bestandteile.

Sonntag, 29. Mai 2011

burn!

Die Sonne brennt. Ich gieße meine Pflanzen zweimal am Tag, der Wind trocknet sie wieder aus. Petunie (Petunia hybrida) in leuchtendem Pink, Bougainvillea (Bougainvillea glabra) in leuchtendem Pink, Geranie (Pelargonium) in leuchtendem Pink. So liege ich inmitten von leuchtendem Pink und frage mich, ob diese monochrome Farbgebung auf meiner Terrasse unbewusste Absicht war. Ich neige auch bei meiner Kleidung zu einseitiger Kontrastierung, schon als Kind. Manche Fotos sind einfach lächerlich. Entlarvend. Ein Bild aus der dritten Klasse, auf dem trage ich einen grauen Faltenrock, graue Strumpfhosen und einen grauen Rollkragenpulli. Ich lächle unschuldig als wüsste ich nicht was ich anhabe. Oder ein Klassenfoto aus dem Deutsch-Leistungskurs, blaue ausgewaschene Jeans, blaues Matrosenhemd aus der Mottenkiste, blaue Wildlederadidas. So sehen zwar fast alle aus, aber trotzdem. Auch mein Bett sieht aus, als wäre es mit einer Farbe übergossen, Laken, Bettdecke, Kissen, alles gleichfarbig. Ich schlafe gut.

Samstag, 28. Mai 2011

Stein

Der Schlaf hat mich eingeholt, vielleicht auch die Seele. Sie hat länger gebraucht als ich für den einfachen Weg nach Westen, der immer mein Zuhause war und es auch jetzt wieder ist. Ich schlafe und schlafe, als wären Jahre nachzuholen. Wache ich auf, ist es immer noch hell am Abendhimmel. Mein Inneres ist gnädig, nicht mehr so zerrissen, als hätten sich alte Wunden endlich geschlossen. Versöhnt. Mein wacher Geist ist wie ein Schwamm, nimmt das Neue begierig auf und dreht es in alle Richtungen, um es ohne große Lücken abzuspeichern wie ein mit Steinen gepflasterter Hof. Ich glaube, in meinen langen Schlafperioden sortiert sich das Muster neu, die Erinnerungen, die Sehnsüchte, tausend Jahre Stärkung aus einer kleinen sternförmigen Blüte, Tausendgüldenkraut (centaurium erythraea).

Freitag, 13. Mai 2011

Wo bist du Schlaf

Seit zwei Nächten suche ich den Schlaf, finde ihn nicht. Führe lange innere Monologe über was wohl die Ursache ist und komme trotz verschiedener Thesen und Antithesen zu keinem Ergebnis. Rezitiere stumm Dialoge aus meinen Lieblingsfilmen, übersetze sie ins Englische, Französische und Spanische. Träume ich jetzt? Atme plötzlich den Duft von echtem Baldrian (Valeriana officinalis) und spüre wie seine Moleküle in mein Gehirn dringen. Ich fahre mit der Bahn und als die Türen zischend zugehen, steht Andi dort, Augen strahlend blau. Unsere Fingerspitzen berühren sich durch das kalte Glas, ja klar, er kann das, Zeitreisender, Phantom. In dieser Nacht rettet er mich.

Montag, 9. Mai 2011

flussaufwärts

Mit der Geschwindigkeit eines flussaufwärts den Rhein entlang tuckernden Containerschiffs laufe ich durch den kühlen Schatten. Nach ein zwei Kilometern vergrößert sich der Abstand zugunsten des Schiffs und ich lasse es ziehen. Jeden Morgen die gleichen Hunde und ihre freundlichen Frauchen und Herrchen. Nachmittags herrschen andere Töne, da wird mir auch schon mal hinterhergerufen Und wo gibt’s die Pizza? Das verstehe ich erst nicht, aber der Typ brüllt das allen ins Ohr, die schneller sind als er. Das Wasser steht so tief, dass schroffe Felsen den Strom brechen. Sandstrände hinter den Weiden. Papageien in den Pappeln. Schilf verdeckt die Sicht. Ich laufe auf dem nassen Gras und konzentriere mich auf meine Atmung, sonst nichts, versuche den Verwesungsgeruch des Drüsigen Springkrauts (Impatiens glandulifera) zu ignorieren. Hier noch der  gepflegte Rasen, hinter den Büschen das nicht zu kultivierende Schwemmland. Unterholz, aus dem es knackt.

Samstag, 7. Mai 2011

Weißer Dackel

Der Freund meiner Tochter hat einen Kumpel, dessen Familie hat einen weißen Dackel oder so ähnlich, jedenfalls so ein kleiner Wuschel, der neulich die Wee-Steuerung und die Kabel zerbissen hat. Der ist total süß sagen alle, manchmal geben sie ihm etwas Kölsch zu trinken. Heute Nacht ist der Rhein in Flammen, was nicht wirklich etwas mit dem Hund zu tun hat außer dass die Familie in einer großartigen Wohnung direkt am Fluss wohnt und das Feuerwerk und die vorbeiziehenden Partyschiffe sozusagen aus der ersten Reihe sehen kann. Die Musik auf den Schiffen ist schrottig, wie Karneval eben und daher irgendwie auch gut. Die Touristen zahlen viel Geld für die Tickets und stechen sich beim Tanzen an den Yuccas ( Yucca), die in Wirklichkeit keine Palmen, sondern saisongerecht aus der Familie der Spargelgewächse sind.

Montag, 2. Mai 2011

fünf Kleider

In einem meiner sporadischen Träume, in denen Promis eine tragende Rolle spielen, bin ich zu Besuch bei meinem Exfreund, ich weiß nicht welcher genau. Auf jeden Fall ist er jetzt mit Angelina Jolie zusammen und das finde ich schon recht aufregend. Wie immer, bin ich im Traum nicht die Spur eifersüchtig, ich streife durch die schöne Wohnung und sehe mir das Innere der Kleiderschränke an. Angelina hat nur einen kleinen Spind und darin hängen genau fünf Kleider, die mir irgendwie bekannt vorkommen, wahrscheinlich aus dem Kino. Ich bin beeindruckt, dass sie nur so wenige Klamotten hat. Die Kleider sind alle bunt gemustert und hängen so locker und stilvoll an ihren Bügeln, wie es nur eine Menge Luft dazwischen möglich macht. Ich denke an meinen eigenen Kleiderschrank und an die peinliche Enge darin. Mein Lieblingskleid in der Farbe von Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas) muss ich immer erst suchen und deshalb vergesse ich meistens es anzuziehen. Das kann Angelina nicht passieren.

Samstag, 30. April 2011

keltisch

In meiner Heimat im Süden besinnen sich die Menschen auf ihre keltische Herkunft. Das ist zwar nicht so ganz einfach, weil es keine Überlieferungen, nur ein paar mit Runen versehene Steintafeln und einige Orte mit keltischen Namen gibt, Laufen, Britzingen und Ballrechten-Dottingen. Dort gibt es in den Weinbergen auch historische Trockenmauern und ich werde nicht müde, die vor kurzem aufs Feinste restaurierten sandsteinfarbenen Steinplatten hoch-und wieder herunterzusteigen und die artenreiche  Trockenpflanzenwelt  einschließlich des Dreifinger-Steinbrechs (Saxifraga tridactylites) zu bewundern. Meine Tochter zieht ein Gesicht ob meiner Besessenheit, entdeckt aber dann die Telefonnummer, die an einer Tafel steht und die sie gebührenfrei anrufen kann, um sich den wissenschaftlichen Renovierungsprozess in allen Einzelheiten von einer angenehmen Frauenstimme mit leicht südbadischem Akzent erklären zu lassen. Mit dem Mobiltelefon am Ohr locker an einen Weinstock gelehnt lässt sich dieser Ausflug in die Natur viel cooler an.

Sonntag, 17. April 2011

sie/es

Ich weine nicht beim Abschied sondern beim Wiedersehen. Habe ich meine Tochter und ihre Freundin eine Weile nicht gesehen und treffe ich sie dann auf dem Bahnsteig, sehe schon aus der Ferne ihre glänzenden Haare und ihren beschwingten Gang, ihre Blicke auf alles Mögliche gerichtet, aber noch nicht auf mich und über irgendeine Kleinigkeit lachend, die ich nicht erfahren werde, schießen mir Tränen in die Augen und meine Lippen zittern vor Glück und Rührung, dass dieses Wesen dort sozusagen ein Teil von mir ist, so fühlt es sich wenigstens an, und dass es mich gleich umarmen und sich über mich lustig machen wird, weil ich aus Freude heule es wiederzusehen und mich dabei nicht schäme ein tränendes Herz (Lamprocapnos spectabilis) zu haben.

Mittwoch, 13. April 2011

Lone Star

Nach fast tausend Seiten melancholischem in-den-Süden-reiten bin ich bereit für die mexikanische Bar. Ich erinnere mich, hier schon einmal hängengeblieben zu sein, obwohl sie zugig ist wie ein alter Stall. Der Barmann mixt Drinks und die Drinks sind gut, es gibt Watermelon Men und Strawberry Margeritas, die beiden verstehen sich gut. Es macht nichts wenn sie sich jahrelang nicht sehen, es kommt auf den Augenblick an und auf die dann gemeinsam verbrachte Zeit, von der es früher mehr gab. Da haben sie versucht, herauszufinden, was Creosote (Larrea tridentata) ist und ihnen ist gemeinsam schlecht geworden. Sie haben in den Staub gespuckt und sich an den Dornen die Haut aufgeritzt. Dann darüber gestritten ob es krank ist wenn der Schmerz sich angenehm anfühlt. Über die Ästhetik eines dicken roten Blutstropfens auf der trockenen Erde. Über den richtigen Ausdruck wie sich altes Leder anfühlt. Über die Möglichkeit eines kleinen einsamen Sternchens am Horizont.

Dienstag, 12. April 2011

blau

Andi ist bzw war Gagarin. Er ist zwar schon viel früher durch den Weltraum geflogen, aber da hat es ihm noch niemand geglaubt. Er sagt, er wäre immer noch relativ ungestört da oben, so viele schaffen es ja auch nicht. Dem Blau der Erde entkommt er nicht, sie zieht ihn an und bis heute weiß er nicht woran das liegt, obwohl er all diese Rotations- und Atmosphärengesetze kennt. Er lacht und wirft sein Haar nach hinten. Vielleicht ist es der Äther, der das Blau so intensiv macht, dass es blendet. Auch Andi will diesem Sog nicht ausweichen, denn das unkontrollierte Trudeln und das eiernde Driften in einem regenbogenfarbenen Tunnel ist so hippie wie er es nie erlebt hat. In den Siebzigern war er wo ganz anders. Und wieder fragt er mich ob ich nicht mitkommen will. Es gibt silberne Glockenblumen (Campanula) lockt er mich.

Donnerstag, 7. April 2011

licht

In Luxembourg leben die Menschen in Höhlen, sogar das Hotel ist in einem Fels. Nachts ist es stockdunkel und mucksmäuschenstill, manchmal tröpfelt Wasser vom Stein. Ich habe mich zuerst gefürchtet, dann aber sehr sicher gefühlt. Wenn Gefahr droht, aus der Luft oder von der Straße, kann sich jede sofort in eine Höhle zurückziehen und abwarten, bis die Luft wieder rein ist. So richtig rein wird sie zwar nie wieder, auch nicht in Luxemburg, aber ich meine unbedenklich fürs Weiterleben. Die Luxemburgerinnen sind keine Höhlenmenschen im Wortsinne, dazu sind sie viel zu zivilisiert, zu modern und zu gutverdienend. Sie haben sich mit ungewohntem Luxus umgeben, so zum Beispiel mit Fahrstühlen, die zwischen den Höhlen rauf und runter gleiten. Du gehst unten in die Eingangshöhle, gleitest durch den Fels und kommst oben auf einem Granitplateau an, das von blühenden Kastanien (Castanea) umsäumt ist. Mir gefällt es dort.

Mittwoch, 23. März 2011

Dort oben

Andi ist zurück, so schnell. Ich laufe durch die Straßen und merke wie mir jemand folgt, er sieht wieder ganz anders aus. Niemals hätte ich in diesem Mann Andi vermutet. Als er mir in den Nacken atmet, steht mein Herz still. Warum sind seine Augen jetzt blau? Waren sie nicht braun das letzte Mal. Andi, wo warst du, kannst du nicht verhindern, dass diese Fabrik in die Luft geht. Er sagt deswegen sei er hier, aus dem Weltraum sähe das Ganze gefährlich aus, so als müsste man die Menschheit umsiedeln. Kommst du jetzt mit fragt er. Ich brauche einige Tage Bedenkzeit, kann nicht alles stehn und liegen lassen, oder. Der Gedanke, nah bei Andi zu sein, schwerelos neben ihm herzuschweben, manifestiert sich, sinkt ein in meine Haut wie ein winziger Kaktusfeigenstachel (Opuntia ficus-indica). Wo soll ich auch sonst hin wenn die Welt untergeht. Der ganze Staub wird sich verteilen, bis alle ihn einatmen, auf der ganzen Erde. Wie ist es dort oben, frage ich.

Dienstag, 22. März 2011

Magnet

Von Andi habe ich so einen dicken schwarzen Klumpen, der ist ein Magnet. Er ist so stark, dass er Büroklammern über die Tischfläche zieht. Neulich fallen mir die Autoschlüssel aus der Hand und direkt in den Gulli. Meine Tochter ruft OH NEIN und weg sind sie. Ich ziehe meinen Magneten aus der Handtasche, binde einen Faden dran (den hatte ich zufällig auch in der Tasche, weil ich, wenn wir am Rhein spazieren gehen, alles aufsammle, was da so angeschwemmt wird und die Schnur sieht noch gut aus) und lasse ihn in die Tiefe gleiten. Zwei Meter geht es runter, dann merke ich wie meine Angel schwer wird und ziehe das Ganze wieder hoch. Neben ein paar verrosteten Nägeln, einem halben Ohrring und zehn Cent hängt am Magnet auch mein Autoschlüssel. Ich klaube die ekligen Braunalgen (Phaeophyceae) ab und schon kann es weitergehen.

Dienstag, 15. März 2011

Andy und Paul

In meinem Ort gab es in den Achtzigern eine Andy-Warhol-Ausstellung, der Künstler war sogar vor Ort, eingeladen von Paul Spinat (Spinacia oleracea), der in seiner Gründerzeitvilla einen auf dicke Hose machte. Von diesem wertvollen Kleinod für mein Heimatbewusstsein habe ich erst am Wochenende erfahren als ich mit meiner Freundin auf Besichtigungstour vor der Haustür war. Ein paar Schritte gelaufen und schon tun sich zeitgeschichtliche Kuriositäten auf. Die Villa, die wie ein Schloss aussieht und auch so heißt, ist jetzt ein Museum und außer der Geschichte mit Warhol gibt es noch einen goldenen Rolls Royce in der Kellergarage. Mit dem hat Paul Spinat der Legende nach Andy Warhol das Siebengebirge gezeigt. Die sind am Sonntagvormittag durch die Berge gecruised und das biedere Volk hat sich gewundert, was für Haare der Andy bzw. warum der Paul hellgrüne Haare hat. Paul Spinat war Kostümfabrikant, hat gerne selbst Phantasieuniformen getragen und dazu passend verschiedenfarbige Toupets. Crazy.

Freitag, 11. März 2011

Hannah

wäre gestern 18 geworden, wäre sie nicht vor vier Jahren das Opfer eines Gewaltverbrechers geworden. Er hat Hannah dem Leben entrissen, ihrem eigenen, dem ihrer Eltern und Schwestern und unserem – dem meiner Tochter, deren beste Freundin sie seit dem Kindergarten war. Hannahs Eltern halten die Erinnerung wach. Sie sammeln in einem Erinnerungsbuch Gedanken und Erlebnisse, sie gehen mit der Hannah-Stiftung in den öffentlichen Raum. Und gestern, an ihrem Geburtstag, gab es eine Party mit einem großen Feuerwerk. Irgendwie war es, als wäre auch Hannah unter all den Leuten, die mit gefeiert haben, als würde sie wie ihre Schwestern durch die Menge gehen, mit leuchtenden Augen ihren Freundinnen und Freunden zuprosten und die krachenden Raketen in den Himmel schicken, damit allen klar wird, dass sie es geschafft hat! Wir klatschen und weinen und die kleinen Hannahteilchen brennen sich weiter in unsere Köpfe ein, wo sie nicht verloren gehen.

Donnerstag, 3. März 2011

Leasurepleasure

Kann mich nicht überwinden endlich wieder laufen zu gehen. Also spaziere ich stattdessen durch den Park und plötzlich kommt dieser Drive, der meine Geschwindigkeit anheizen will und den ich dann unter Kontrolle halte, weil es dämlich aussähe, würde ich in Mantel und Stiefeln joggen. Außerdem würde ich sofort ins Schwitzen kommen und hätte im Büro nur das Laufoutfit im Schrank, in dem ich aber auch nicht den Rest des Tages herumsitzen will. Habe nämlich gerade in einem Magazin gelesen, dass legere Garderobe dazu führt, dass eine sich gehen lässt. In meinem Bürostuhl will ich Haltung bewahren, koordinierte Bewegungen ausführen und den Bleistift geraderücken. Habe mich heute einige Male selbst erwischt, wie ich mit leerem Blick auf den Bildschirm schaue und mich nicht erinnern kann was ich gerade gedacht habe bzw. tun wollte. Fühlt sich an als würde da jemand in meinem Kopf auf den Pausenknopf drücken. OK, ich hole die neue Leiter und poliere den Kronleuchter. Muss unbedingt neue Birnen (Pyrus) kaufen. Das ist doch ein konstruktiver Gedanke.

Dienstag, 1. März 2011

Erste Sahne

Der Schnee fühlt sich an wie geschlagene Sahne. Ich wate durch die träge Masse, bis ich den Rhythmus finde, der mich gleiten lässt. Nach einer knappen Stunde bin ich high von den Endorphinen, blinzle blöd in die Sonne und wische mir das Salz von der Stirn. Wo bin ich? Im Bett. Der Schnee ist ein Traum. Mein Schlafgefährte zuckt wie Wolfsfell. Ich kuschele mich an seinen Rücken und versuche die Fortsetzung zu träumen. Das klappt natürlich nicht, weil der Wunsch nicht ins Unterbewusstsein dringt. Das macht lieber was es will. Schert sich nicht darum, dass ich die ganze Nacht weiter durch eine weiße Landschaft laufe, in der nichts passiert. Die innere Mongolei. Endlose Steppen, über die der Wind fegt. Ich bin ein kleiner transpirierender Punkt. Schweiß wird zu Eis. Fühlt sich ok an. Dann verbrenne ich Beifuß (Artemisia vulgaris), der im Sommer die Mücken verteibt. Der Schnee wird zu Rauch, weiß, dick, mückenvertreibend. Ich stehe im Rauch und bin froh, dass ich nicht gebissen werde. Die Mücken sind so groß wie Bienen. Ich wache wieder auf. Der Wolf zuckt.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Straßenbegleitgrün

Zum Andenken an die Widerstandskämpferin Hilde Radusch will der Berliner Senat eine Gedenktafel auf eine Rasenfläche setzen, offizielle Straßenbegleitgrün genannt. In dieses Gras (Poaceus) zwischen Straße und Trottoir wird eine teure Kupferplatte gesetzt, die resistent gegen Hundepisse, Streusalz und Graffiti sein soll. Bezahlen müssen sie diejenigen, die sie gefordert haben: Miss Marples Schwestern, ein Zusammenschluss von Frauen, die mit dedektivischem Gespür historische Persönlichkeiten weiblichen Geschlechts aufstöbern. Frauen werden ja gerne vergessen, insbesondere von Männern. Deshalb ist es schon eine Errungenschaft, dass nach zehnjährigem Kampf um die Aufstellung eines Gedenksteins nun diese Tafel genehmigt wird, für die aber irgendwie der geeignete Platz fehlt. Das Straßenbegleitgrün ist wahrscheinlich gar kein schlechter Ort. Hundebesitzer/innen werden beim Gassi innehalten und während der Hund sein Geschäft macht, die Tafel lesen. Hat doch was.

Sonntag, 13. Februar 2011

Valentina

Überall sind Herzen, sogar beim Bäcker gibt es rosa glasierte Milchbrötchen. Ich überlege, ob ich eins kaufen und essen soll. Oder muss ich das geschenkt bekommen, damit es wirkt? Vielleicht sollte ich bis abends warten und wenn mir bis dahin niemand eins überreicht hat, dann kann ich es ja immer noch essen. Aber wahrscheinlich sind es sowieso Placebos, von denen ich eine unbegrenzte Zahl naschen könnte und dann immer noch nicht zu viel Liebe verspüren würde. Wie das Vitamin C der Petersilie (petroselinum crispum) wird das, was der Körper nicht mehr aufnehmen kann, wieder heraus gespült. Ohne dass sich irgendwelche schädlichen Rückstoffe ablagern, die zu Blind- oder Blödheit führen. Ist also völlig harmlos. Nur die Gedanken, die sich um das rosa Brötchen legen wie eine zweite Zuckerschicht, machen mich kirre. Einbildung ist eben keine Bildung.

Montag, 7. Februar 2011

Nichts passiert

Meine Nächte sind mit einem Traum gefüllt, in dem nichts passiert. Der Traum dehnt sich über mehrere Stunden, in denen ich das gleiche Stück Land, einen Baum, dessen Blätter sich nicht bewegen und einen Stein sehe, der reglos nach Art der Steine auf dem Boden liegt. Obwohl diese Beschreibung nach Frieden und Ruhe klingt, ist der Traum verstörend und unheimlich. Eine nicht greifbare Dynamik lauert im Hintergrund. Ich will wissen, wo dieses Land ist, das ich nicht kenne, warum der Stein da liegt und was das für ein Baum ist. Eiche (Quercus), Buche (Fagus), Esche (Fraxinus excelsior)? Mein müder Blick wandert zwischen diesen drei Dingen hin und her, die ganze Nacht. Morgens wache ich gerädert auf und mein Gehirn sucht weiter, den ganzen Tag. Auch nachdem ich die vollkommen identische Szenerie jetzt seit einer Woche träume, bin ich mit meiner Erkenntnis noch keinen Schritt weiter gekommen. Kann es sein, dass der Traum gar nichts bedeutet?

Dienstag, 25. Januar 2011

Real life

Mitten in meiner konzentrierten Büroarbeit klopft es heftig an die Scheibe. Eine Frau will rein. Ich winke ab, schließlich ist das hier Kreuzkölln. Doch sie lässt nicht locker, zieht eine Metallmarke aus ihrer Tasche und hämmert damit an die Tür. OK, das ist eine Polizeimarke, sieht billig aus. Ich lasse sie rein. Observierung sagt sie nur und ich nicke stumm. Schaue zu, wie sie von hinter meiner nicht mehr ganz blickdichten Birkenfeige (ficus benjamina) die andere Straßenseite beobachtet. Dann spricht sie leise in ihre Jacke. Ein Mann kommt aus dem Torbogen gegenüber, was er in den Händen hat, kann ich nicht erkennen. Ich sitze wieder an meinem Rechner und tue so, als würde ich ganz normal hier sitzen so wie jeden Tag ohne dass die Kripo neben mir steht und sich auf eine Schießerei vorbereitet. Der Mann geht zu einem Auto. Mist, der hat ein Auto, sagt die Frau und rennt unauffällig auf den Mittelstreifen, spricht dabei wieder in ihre Jacke und gibt dem Kollegen, den ich nicht sehen kann, das Kennzeichen durch. Das Auto fährt weg, und jetzt?

Mittwoch, 19. Januar 2011

Vollmond

Meine Tochter fragt mich ob ich vergangene Nacht geschlafen habe, ja klar, bin kein Werwolf. Aber sie fragt mich so etwas sonst nie und daraus schließe ich, dass sie nicht geschlafen hat. Das ist so ihre Art - über zwei Ecken, drei Blumen und in fürsorglichem Ton mitteilen, dass sie etwas zu erzählen hat. Sie sagt es war ja Vollmond aber das war nicht der Grund warum sie nicht geschlafen hat. Sie hat die ganze Nacht SMS-Seelsorge für ihre Freundin betrieben. Sonst fällt ihr irgendwann das Telefon aus der Hand aber dieses Mal nicht. Für diese eine Nacht hat sich die Flatrate für ein ganzes Jahr gelohnt, außer, dass beide morgens mit schweren Lidern in die Schule sind. Ich finde das natürlich nicht gut, aber was weiß ich schon. Damals stand das Telefon noch auf dem Flurschränkchen neben dem Gummibaum (ficus elastica) und die Schnur war einen Meter lang. Ich erkundige mich diskret nach dem Inhalt der Kommunikation und erhalte einen Antwort, die ich hier ohne mit der Wimper zu zucken wiedergeben könnte – so allgemein, unverbindlich und oberflächlich, dass ich mich nicht getraue, weiter zu bohren. Ich ziehe meine rechte Augenbraue hoch, weil ich das gut kann und nicke stumm.

Donnerstag, 13. Januar 2011

Billige Drinks

Es gibt so viel zu reden. Aber wir wollen auch essen und danach etwas trinken. Ich stehe also an der Kreuzung und warte auf sie, es ist nicht mehr so kalt. Direkt hinter mir ist ein italienisches Restaurant, in das ständig Leute strömen, ich kenne es nicht. Amici Amici. Als meine Freundin dann kommt, blond, jung und schön, lassen wir uns auch da hineintreiben. Natürlich ist kein Platz mehr frei, aber der Barmann mixt fix zwei Spritz und wir bestellen gegrillte Pulpi. Oberlecker, auch wenn wir direkt neben der Abzugshaube sitzen und ein gut Maß Fett abkriegen. Schnell raus hier, bevor die Klamotten stinken. Im Kiez ist ein Mexikaner, da sind ab sieben die Drinks billig. Vorsichtig nippen wir an den Getränken, Himmel! Gut! Es wird ein schöner Abend, auch ohne die Rosen (Rosa), die uns der Inder verkaufen will.

Dienstag, 11. Januar 2011

Venezia


Mit dem Schnee ist auch Andi wieder verschwunden. Er ist in den Abendhimmel zwischen Venus und Mondsichel geflogen. Ich habe ihn gebeten nicht so lange wegzubleiben. Doch Zeit ist für ihn nicht das Gleiche. Je weiter er sich entfernt, desto höher steigt das Wasser, tritt über die Ufer, überschwemmt die Promenade. Meine Tochter, ihre Freundin und ich laufen durch die braune Brühe, es sieht aus als liefen wir darauf. Mama, warum geht er immer? Er ist nett. Es ist besser wenn er geht und dann wieder kommt. Ich habe dann mein eigenes Leben zwischendurch. Wäre er hier, würde ich meinen Kalender mit ihm abstimmen. Ist das schlimm? Nein, aber ich will das nicht. So ist es einfacher. Die Mädchen schauen mich zweifelnd an. Wirklich? Wir gehen ins Venezia Eis essen, das hat jetzt seinen Namen verdient und schauen den Enten nach, die durch die Gassen schwimmen. Ich denke an gelbgrüne Algen (Xanthophyceae).

Mittwoch, 5. Januar 2011

grell

Nach der Finsternis gestern scheint die Sonne umso heller. Im Park gleißt der Schnee. Ich trete für meinen Weg in die Fußstapfen von gestern und werde prompt in diese Zeitschleife geschleudert, in der ich seit Wochenbeginn hänge, wenn ich das Büro verlasse. Es ist immer das gleiche Schema: Ich gehe raus, biege ab in die halbvereiste Hasenheide und wundere mich über die gähnende Leere und die absolute Stille. Heute treffe ich Andi hinter dem Eichhörnchenbaum. Endlich kann ich ihn fragen, was hier im Park los ist und warum sich die Menschen fernhalten. Immerhin scheint heute die Sonne, da gibt es für umsonst Vitamin D. Andi meint, es läge daran, dass ich auf dem Land aufgewachsen bin. Dort würden die Kinder immer rausgeschickt zum Spielen, egal welches Wetter ist. Und das sei bei den Stadtmenschen eben anders. Die schieben dann höchstens mal die Gardine zur Seite, erschrecken sich aber wegen des grellen Lichts. Und die Vitamine gibt es schließlich auch im dm-Markt zu kaufen. Sei doch froh, dass du den ganzen Park für dich alleine hast. Er grinst und sieht schön aus mit seiner wuscheligen Angoramütze. Aus einem der Büsche tritt ein Mann und fragt freundlich, ob wir ein Hanfprodukt (Canabis) kaufen wollen.

Montag, 3. Januar 2011

Riecht gut

Warum teure Aufputschpillen kaufen, wenn der Effekt genauso mit Badesalz hergestellt werden kann? Fragen mich meine Tochter und ihre Freundin. Oder mit Raumspray, febreeze und wie die alle heißen. Ich finde das eklig und die Mädchen eigentlich auch, aber nach ein paar Gläsern Champagner(!) kommt der Zitrusduft ganz gut. Oder Bergamotte (citrus bergamia), Lavendel (lavendula), Tanne (abies) und Atlantik. Nee. Atlantik nicht, das ist wie WC-Reiniger. Den trinken sie anscheinend noch nicht, aber probiert haben sie ihn wohl. Ich will die Details nicht wissen. Ich würde glatt meine Toleranzgrenze verschieben  angesichts dieses Trends zugunsten von Jägermeister in Richtung mag ich nicht aber wenn es den anderen schmeckt? Eine Alternative ist die braune Brühe aber auch nicht. Auch wenn Kräuter drin sind, Mama. Haha. Da ich meine Tochter und ihre Freundin ganz gut kenne, glaube ich nicht, dass diese Phase länger als drei Wochen anhält. Vielleicht nochmal ein Rückfall zu Karneval, aber danach ist Schicht. Und wenn nicht, dann schleppe ich die beiden lieber zu Douglas, wo sie sich mit Prada und Gucci einsprühen können, das riecht immer noch besser als diese Brisen.