Freitag, 31. Dezember 2010

Bad

Das war ein mieses Jahr. Ich habe mich so oft im Wald verirrt und Andi ist erst am Ende wieder aufgetaucht und hat den ganzen Schnee gemacht. Noch nie, wirklich, habe ich so viel Zeit im Schnee verbracht. Ja, es waren auch lustige Schlittenfahrten dabei und abenteuerliche Ausflüge mit Sommerreifen auf der Flucht vor der Polizei. Vom Dach meines Hauses, also dem Haus in dem ich wohne und von dem, wenn ich aus dem Küchenfenster gucke, den Spruch auf dem Nachbarhaus sehe Mein Feld ist die weite Welt, rumpeln die Eislawinen, Platten, die tödlich sein können aber wohl noch niemanden da unten erschlagen haben. Ich kann  nix dagegen tun. Gestern stochere ich dennoch mit einem Besenstiel an den Eiszapfen rum und dann kommt so eine Scholle vom Dach, die mir den Stab aus der Hand reißt und auf meinen Kräutergarten knallt. Das ist wieder ein Beleg dafür lieber nicht in die Natur einzugreifen und langsame Schmelzvorgänge beschleunigen zu wollen. Das ist sowieso mein Thema und Vorsatz für das nächste Jahr: Entschleunigung. So ein bescheuertes Wort, aber Geduld trifft es nicht ganz und nun muss ich nur noch das richtige Elixier finden, das mir dabei hilft. Vielleicht Baldrian (Valeriana)?

Dienstag, 21. Dezember 2010

Kanada

Ich schleiche vorsichtig durch verschneite Wälder, die Konturen sind weich und manchmal ist ein Baum ein Stein, ein Stamm eine Mauer aus Schnee. Ein Mann mit einem Gewehr kreuzt meinen Weg, doch er schaut mich nicht an, stapft weiter durch eine Spur, die nur er sieht. Wenn es dunkel wird, muss ich zu Hause sein, sonst finde ich den Weg nicht mehr. Es war eine Schnapsidee, alleine das Tal runterzugehen, jetzt kann ich nur noch vorsichtig einen Schritt nach dem anderen tun, um nicht in den Bach einzubrechen, der unter mir gluckert. Ich habe Schokolade bei mir und einen Zweig Rosmarin (Rosmarinus officinalis) an dem ich ab und zu schnuppere. Er gibt mir Zuversicht. Andi, wo bist du wenn ich dich brauche. Seit er Schnee macht, hat er völlig den Verstand verloren. Diese Mischung aus Schönheit und Katastrophe fasziniert ihn, nicht nur ihn. Alles bricht zusammen, vor allem die Zivilisation, aber auch die Bäume und was weiß ich noch alles. Das Weiß macht alles harmlos, konserviert von der Kälte. Ein Schuss zerreißt die Stille. Weit fort. Aber dennoch habe ich Gänsehaut und haste tapfer weiter.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Taxi

Andi sagt er macht diesen ganzen Schnee. Er hat eine Formel aus dem Universum mitgebracht da braucht er nur mit den Fingern schnippen und schon schneit es überall. Ist doch schön im Winter. Das stimmt, wen interessiert das Chaos auf den Straßen, der selbst nicht fährt? Im Park ist Paradies. Schau in die Augen der Kinder, die sehen es auch. Dick eingemummelt lassen sie sich den Abhang runterrollen und quietschen vor Vergnügen. Bis die Bären aus dem Gebüsch kommen. Hinter den Eiben (Taxi) haben sie sich versteckt. Ihr Fell ist ganz weiß und zuerst sehen wir sie nicht. Dann stellen sie sich auf die Hinterbeine und zeigen die gelben Zähne in ihrem dampfenden Maul. Ihr Brüllen dröhnt und die Mütter packen ihren Nachwuchs und fliehen. Weg hier! Andi, was soll das mit den Bären? Ihm wird es schon wieder langweilig. Glaube ich. Mach noch mehr Schnee, bis die Stadt ganz leise wird. Und lass die Bären weg.

Montag, 13. Dezember 2010

Frankfurt, oder?

Laufe durch die Stadt und finde die Brücke nicht, schaue nach oben auf die unerwartet alten Türme und den Schnee, der darauf fällt. Dann der der Fluss in einem Bogen, der mich staunen lässt, wie elegant, wie gewaltig. Eisschollen treiben gen Norden, verdichten sich. Sind das Eisfischer da draußen? Ich dachte, die gibt es nur in Sibirien. Frauen in Pelzjacken und Männer, die hinterher gucken. Die Sprache verstehe ich nicht. Über die Brücke gehen heißt in ein Land wechseln, in das ich noch nie einen Fuß gesetzt habe und in dem mein Vater geboren ist, Vaterland. Bin Grenzgängerin in der zweiten Generation, die erste redet nicht darüber. Nein, ich bin nicht auf Spurensuche, will welche hinterlassen. Setze Wortmarken in das moderne Gebäude mit Blick auf den melancholischen Strom, alle sehen aus dem Fenster, lächeln verträumt. Freundliche Menschen mit traurigem Blick. Will sie aufheitern und überreiche einen Weihnachtsstern (Euphorbia pulcherrima), sie bedanken sich und streichen sanft über die roten Blätter.

Samstag, 11. Dezember 2010

fire my spirit

Hey Andi, ich wate heute durch knöcheltiefe Pfützen, bewege mich federleicht durch schweren Schneematsch, den Kopf im Nieselregen, die Gedanken bei dir. Zweimal halte ich rot für grün und bin fast gestorben, auf der Straße, voll mit Menschen aber ich sehe niemanden. Das Wasser macht mir meistens Angst, doch das Gluckern verdünnt mein Blut und es rauscht mir in den Ohren. Der kalte Wind ist warm vor Wonne, meine Wangen glühen und ein Leuchten sitzt auf meiner Haut, das ich nur mühsam hinter Schals, Mützen und Schirm verbergen kann. Immer wieder blitzt es hervor, bahnt sich seinen Weg nach draußen, funkelt und glitzert wie eine Lichterkette. Gut, dass es gerade viele davon gibt und meine Elektrizität völlig normal für diese Jahreszeit ist. Es schneit und taut, schneit und taut. Schneit und taut. Wann wird es endlich wieder dunkel, damit ich zurückkehren kann in die Höhle, in der du versuchst, die Zeit anzuhalten, um den Moment zu verlängern, den wir zusammen haben. Glaube ich. Kein Gras (Juncaceae) wächst, keine Fliege summt. Ich liebe diese Stille.

Freitag, 10. Dezember 2010

Andi!!

Warum taucht er immer um die Weihnachtszeit auf. Dieses Mal hat er mich im Schlaf erwischt. Plötzlich sind dieses warme Lächeln da und das duftende Haar. Wohlige Glückseligkeit strömt durch meinen Körper, Gewissheit, es ist Andi, obwohl er wieder völlig anders aussieht. Am Morgen erkenne ich ihn nicht, aber was sind schon Augen? Meistens führen sie mich aufs Glatteis, senden Informationen an die graue Masse, die diese gelangweilt in gewohnte Interpretationsmuster packt und sich ins Fäustchen lacht, wenn ich wieder drauf reinfalle. Mein schadenfrohes Gehirn. Andi hat es ausgetrickst. Er ist der Einzige, der das kann. Kommt im Dunkeln und erzählt mir von seinen Zeitreisen in bunte Wirbel jenseits des Chaos. Warum kommst du nicht mit fragt er mich. Ich weiß nicht. Bin feige und mag meine Pflanze (vinca) nicht alleine lassen, meine Tochter, ihre Freundin… Lieber diese Sehnsucht spüren, bis sie fast nicht mehr wahr ist und dann ist Andi wieder da. Ohne die Momente wäre diese Welt nichts.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Mit Wolle durch den Winter IV

30 Zentimeter Schnee und noch immer schneit es als ob etwas nachzuholen wäre. Tief im Schrank finde ich die Schneehose und den Anorak, alles hochgebirgstauglich und jetzt gut für einen Gang zum Supermarkt. Meine Tochter, ihre Freundin und ich wachsen Schlittenkufen, ihre langen Haare sind unter dicken Mützen aus nichtechter Wolle, weil die kratzt, Mama. Das stimmt, doch ich habe ein freundschaftliches Verhältnis zu diesem Jucken, weil ich weiß, dieses Wollwerk wärmt immer, egal, wie kalt es wird und egal wie nass es ist. Mit dem Schlitten holen wir einige Kisten Lebensmittel, denn der Himmel sieht so aus, als schneie er weiter und weiter. Den Mädchen gefällt dieser Einkauf, Berge von Nudeln und Chips und schon mal Schokolade für Weihnachten. Mixgetränke in Flaschen, die man einfach nur in den Flur stellen muss, ums sie jederzeit eisgekühlt trinken zu können. Orangen, Zitronen, Kiwi (Actinidia deliciosa) und Kartoffeln wie auf einer Polarexpedition. Skorbut soll nicht unser Problem werden. Es ist still. Der Verkehr ist zum Erliegen gekommen. Nur vom Rhein dröhnen die Dieselmotoren, den Schiffen macht der Schnee nix. Irgendjemand hat mir mal Schneeschuhe geschenkt für Alaska, die suche ich gleich im Keller.