Donnerstag, 25. Februar 2010

Kleine Kolumbianer

Meine Tochter geht ungeduscht mit mir auf die Straße. Hätte ich nicht gemerkt, sie sieht gut aus, glatt, wach, ausgeglichen. Sie ist natürlich völlig anderer Meinung. Wir schlendern durch den Rewe auf der Suche nach Backerbsen. Sie hofft, dass Ricardo heute nicht arbeitet, ein Freund von ihr. Er ist klein, Mama, alle Kolumbianer sind klein. Da kommt er schon um die Regalecke und grinst. Küsschen. Ich frage nach Backerbsen. Ein unbekanntes Produkt bei den Aushilfsjobbern, aber alle führen mich in die Linsen-Bohnen-Reis-Abteilung, wo wir ratlos vor den Packungen stehen. Meine Tochter rollt mit den Augen. Peinlicher Auftritt. Genau dann entdecke ich die Backerbsen. Hallo, Ricardo, guck mal! Ach, die sind das, die sind lecker. Sehen aus wie Knotiger Braunwurz (Scrophularia nodosa), schwach giftig.

Dienstag, 23. Februar 2010

Schneewittchen

Ich schippe Schnee vom Dach. In hohem Bogen werfe ich ihn in die Tiefe, wo er mit einem dumpfen Hump! aufprallt. Am liebsten würde ich hinterherkotzen. Über das Geländer hinunter in den Hof. Bin so wütend. Ich ziehe die Handschuhe aus und schaufle weiter, bis ich Blasen an den Händen habe. Ah. Endlich ein Schmerz, für den ich selbst verantwortlich bin. Unter der Haut sammelt sich Blut, sieht echt krank aus. Ich hole einen Nagel und steche mir die transparenten Schwielen auf, rotes Blut auf weißem Schnee. Schneewittchen. Dann nehme ich die Schaufel wieder auf und mache weiter. Ein Idiot schreit was hoch zu mir, in dieser Stadt schreien immer alle. Was will der Typ. Ich schleudere eine Ladung Eisbrocken in seine Richtung. Der Kerl brüllt. Ich lache, weil ich hier oben sicher bin und weil er mich ohne diese Mütze nicht wiedererkennen wird. Nach zwei Stunden stehe ich im T-Shirt auf dem Balkon und kann meine Arme nicht mehr bewegen, die Kippe in meiner Hand zittert. Brauche gemeinen Wundklee (Anthyllis vulneraria), damit die Löcher nicht eitern. Der Schnee ist weg. Endlich.

Mittwoch, 17. Februar 2010

Wallander

In der Regionalbahn treffe ich einen schwedischen Fernsehkommissar. Wir sitzen uns eine Weile gegenüber, dann sitzen wir nebeneinander und atmen einige Kilometer lang die Luft zwischen uns. Draußen fließt die Landschaft vorbei. Das gemeinsame Atmen klappt gut, so unerwartet synchron, ungewöhnlich bei der ersten Begegnung. Sein Luftholen ist kräftiger im Hinein- und Herausströmen, meine Luft fällt mehr lautlos in mich rein und sickert wie Wasser wieder raus. Unsere Konzentration auf das Atmen des anderen nimmt auch die Wärme wahr, die unsere Körper ausstrahlen. Sein Pulsschlag prallt auf meine Haut. Noch haben wir nicht geredet. Obwohl er aussieht wie Wallander traut er sich nicht. Wir tauschen Blicke. Das geht ganz gut, denn wir befinden uns in einer gedämpften Lärmglocke aus schwäbischem Dauermurmeln, das von irgendwo hinter uns kommt. Auf dieses Geräuschkissen legen wir nun unsere Köpfe. Wir müssen nicht reden. Ansehen reicht. So viele Geschichten in seinen Augen, die dunkel sind wie das Blau der Heidelbeere (Vaccinium myrtillus). Das Rauschen der Luft in den Lungen. Er holt ein Messer aus seiner Tasche, sticht in einen Apfel und reicht mir das blutige Stück.

Samstag, 13. Februar 2010

Raus hier

Ich flüchte aus einem Film. Der eisige Wind Norwegens treibt mich aus dem Saal. Ich sage zu der Frau an der Theke schrecklicher Film, kennst du ihn? Sie schüttelt den Kopf und meint, ich wäre nicht die Erste. Sie bietet mir eine Tasse Tee an, Milch haben wir nicht, Zucker? Ich schlürfe süßen Tee, drinnen läuft der Film weiter. Was genau hat mich eigentlich von meinem Platz gescheucht? Der schneeblinde Antiheld, dieser doofe Versager, der überall alles abfackelt und Schnaps aus dem Benzinkanister trinkt? Der Typ macht mich wütend, Zorn steigt in mir auf wie ein dunkles Tier. Ich stelle mir vor, wie er aus purer Blödheit sein Schneemobil in Brand setzt und damit in die Luft fliegt. Da ich nicht weiß, wie der Film ausgeht, tröstet mich dieses Ende. Die kühle Luft auf der Straße beruhigt mein Temperament. Welche kleine Teufelin hat mich heute Abend erwischt? Die Erinnerung, die Energie oder die Befürchtung? Meistens ist es eine von diesen Dreien. Wieder zuhause kaue ich frische Pfefferminze (Mentha piperita), die senkt den Blutdruck und stimuliert das Nervensystem. Vielleicht war ich einfach nur im falschen Film.

Dienstag, 9. Februar 2010

Schornsteinfeger

Der Schornsteinfeger kommt und fegt im Keller den Schornstein. Ein sehr netter und äußerst gesprächiger Mann mit einem Ohrring. Im Berliner Untergrund ist es kalt, aber ihn stört nicht, dass ich zittere wie Espenlaub (Populus tremulum). Er erzählt von seiner Freundin, mit der er ein Kind hat und dann gibt es noch ein zehnjähriges Mädchen von ihrem Exmann, für das der keinen Unterhalt bezahlt. Das Mädchen nimmt er mit zum Modellfliegen und erklärt ihr die Technik der Fernsteuerung. Frauen sollten technisch Bescheid wissen, findet er. Sonst sind sie ihr Leben lang der Meinung, Männer sind dafür da Nägel in die Wand zu schlagen oder Autoreifen zu wechseln. Neulich hat ihm eine Frau gezeigt, wo bei einem gerade neu auf den Markt gekommenen Mercedes das Ölventil ist. Er hat es nicht gefunden, die Frau schon. Das hat ihn beeindruckt. In den anderthalb Stunden, in denen er den Kamin fegt, erfahre ich noch viele Details aus seinem Leben. Langweilig ist er nicht, er macht Witze, die wirklich lustig sind. Ich nicke und lache. Dann berühre ich ihn kurz.

Freitag, 5. Februar 2010

König mit Herz

Blauer Ritter auf schwarzem Pferd reitet durch meinen Traum. Er sieht aus wie Robert Pattinson ohne Vampirschminke und hält einen goldenen Kelch. Zu seinem hellblauen Gewand trägt er wasserblaue Augen und eine Kappe aus Kalbsleder. Im Traum weiß ich solche Sachen: welche Art Leder und was in dem Kelch ist. Die Liebe. Ganz vorsichtig balanciert er die Liebe auf seiner Hand, sie darf auf keinen Fall runterfallen. Auch das Pferd passt auf, dass der Liebe nichts passiert. Der Ritter bringt die Liebe zu seinem König. Ein König mit Herz. Dumm nur, dass er mir im Traum begegnet. Ich springe aus meinem Hinterhalt und reiße den Kelch an mich, dem Ritter drohe ich mit dem gefährlichen Ast der Schwarzpappel (Populus nigra). Gib mir die Liebe zurück, ruft er. Nein. Er weiß nicht, wie lange ich auf diese Liebe gewartet habe. Ich gebe sie unter keinen Umständen zurück. Schon spüre ich, wie ihre Wärme in meinen Körper fließt, meine Fantasie beflügelt und meine Seele tröstet.

Montag, 1. Februar 2010

Energie

muss fließen. Was nützt sie mir, wenn sie irgendwo drinsteckt, aber nicht herauskommt. Diese Tennisbälle, die zurzeit vom Himmel schweben, sind pure Energie. Wie Sahne schmelzen sie an meiner Haut herunter und kitzeln mich mit ihrer Kälte. Kurz darauf prasseln sie wie Kastanien (Aesculus hippocastanum) und ich suche Schutz hinter einer Mauer. Wie ich da gekrümmt stehe und den Schutz nicht finde, schüttelt mich ein Schluchzen. Aua. Zuviel Energie auf einmal. Doch schon schweben sie wieder und mein Heulen versiegt. Ich kann meinen Antrieb irgendwie nicht steuern. Meistens schieße ich über das Ziel hinaus, weil ich zuviel Schub habe. Pralle dann an Wände oder Mauern und höre mir Lieder über die Erotik blauer Flecken an. Drücke auf einen meiner hundert und verfolge den Schmerz bis er den Kopf erreicht. Nicht schlecht. Am besten sind Begegnungen mit Menschen (Andi), bei denen es sofort funkt und man nur noch anstandshalber ein wenig Zeit mit Kaffeetrinken verbringt, bevor man der Energie freien Lauf lässt.