Mittwoch, 21. Juli 2010

Nachbarin

Träume von Kristina Schröder, das ist die Familienministerin. In meinem Traum wohnt sie zwei Häuser weiter und unsere Kinder spielen zusammen. Nicht weit fließt ein großer Fluss und wir sind ständig in Sorge um unsere Kleinen. D.h. ich bin in Sorge, denn sie verlässt sich voll darauf, dass ich ihren Zögling mit im Auge behalte, schließlich habe ich ja zwei Kinder und sie nur eins, also bitte. Ihr Mann ist im Garten und präpariert den Rasensprenger, so dass statt Wasser Wodka sprudelt. Eine witzige Idee für die Erwachsenen, findet er. Die kleinen blauen Blüten des Ehrenpreis (Veronica triphyllos) gehen sofort davon kaputt. Kristina Schröder sieht mich nie direkt an, auch wenn ich ihr abends das Kind zurückbringe, das den ganzen Tag in meinem Haus gespielt, gegessen und geschlafen hat. Sie trägt eine Kette aus schwerem Gold und ein Glas aus schwerem Kristall. Ihr Kind ist in einen weißen Pelz gekleidet, so wie der Junge, der im Traum plötzlich bei den wilden Kerlen landet und schrecklichen Lärm macht.

Samstag, 17. Juli 2010

Amanda

ist der Titel eines Romans aus den Achtzigern. Damals sind Mädchen mit langen Beinen noch Rollerskates gefahren. Amanda ist eine dieser jungen Frauen. Sie lebt mit ihrer Katze irgendwo im Westen der USA und wundert sich, dass der Lack ihrer Fingernägel im gleichen Muster abblättert wie ihre Katze Tapetenstücke von der Wand reißt. Sie blickt auf ihre Nägel, dann auf die zerklüftete Wand und vermutet einen Zusammenhang. Um diesen Zusammenhang geht es dann in diesem Buch. Gefällt mir so gut, dass ich meine Tochter nach ihr benenne, nur den Zweitnamen, aber immerhin als bleibende Erinnerung. Meine Tochter ist jetzt auch eines dieser langbeinigen Mädchen und heute feiert sie Geburtstag mit ihren Freundinnen, die auch alle wunderschön sind, nach wilden Rosen (Rosa rugosa) duften und eine mächtige Portion Humor haben. Das jedenfalls schließe ich aus ihrem zügellosen Gekicher.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Im Gurkenhimmel

Ich esse nur noch Gurken. Seit ich neulich diese wunderbare kalte Gurkensuppe gegessen habe, kann ich an nichts anderes mehr denken. Die Frau an der Kasse lächelt mich an, ich habe sechs Gurken auf dem Band. Am liebsten würde ich ihr erzählen wie das Rezept geht: die Gurken schälen und kleinschneiden, mit Kefir, Knoblauch, Kresse (lepidium sativum)  und Salz zu einem Smoothie pürieren, zwei Stunden in den Kühlschrank stellen. Meine Tochter und ihre Freundin lachen mich aus. Doch nachdem sie vorsichtig eine mikroskopische Probe zu sich genommen haben, wollen sie plötzlich mehr. Bei ihnen wirkt es auch.

Sonntag, 11. Juli 2010

Mondsegel

Wir schlafen draußen, mein Schlafgefährte und ich. Der laue Wind streichelt unsere Haut. Über uns nur das Firmament und ein Stück vom Sonnen- jetzt Mondsegel. Direkt unter dem All zu liegen hat etwas Bedrohliches, auch wenn vertraute Atemzüge neben mir sind. Würde jetzt eine Verbindung nach dort geschaffen und mich hochziehen, wäre ich in Null Komma nix weg. Tagsüber im Freibad habe ich solche Gedanken nicht. Jetzt schon. Stelle mir vor, wie ein kleiner tornadoähnlicher Schlauch mich einsaugt und direkt in die Milchstraße wirbelt.  Ich hätte nur Unterwäsche an, wäre das ok für die Anwohner? Meine Fantasie hält mich wach, dann donnert es und einige Böen lassen den Stoff des Segels flattern. Der Rosmarin (Rosmarinus officinalis) glitzert silbern. Mein Herz rast, mein Körper schüttet Adrenalin aus. Welcher Instinkt bricht hier durch und warum nur bei mir? Möchte gerne in den Schutz der Mauern, aber dort lauert die Hitze. Mein Schlafgefährte blinzelt mich verschlafen an, ich zucke mit den Schultern und stehe auf, gehe zum Kühlschrank und trinke kaltes Wasser.

Samstag, 10. Juli 2010

Tod und Chaos

Achtzig Minuten Verspätung. Dafür neue Landschaften gesehen, zuerst kühle Wasserflächen, auf denen Seerosen (Nymphaea) schwammen. Jetzt die Weite der Kornfelder auf der Nebenstrecke durchs Hinterland. Die Hauptstrecke ist blockiert mit Körperteilen. Hat sich wieder einer hingematscht und dafür gesorgt, dass ein halber Tag Chaos entsteht. Kann man das in dieser perfekt organisierten Welt nicht auch anders hinkriegen? Ich kann gelassen sein, denn ich habe keinen Termin. Die anderen hier schon und die Stimmung ist Strom. Der ist ja leider nicht nutzbar. Neben mir hampelt ein Lehrer herum, zieht seine ecco-Sandalen aus und fläzt sich auf den Sitz. Sein Hemd rutscht hoch und ich gucke auf einen weißen haarigen Bauch. Er gähnt wiederholt in hohen Oktaven und raschelt mit seiner Brötchentüte. Muss ich wieder meine Augen-zu-Ohren-zu-Nase-zu-Übung machen? Ich habe meinen Platz schon zweimal gewechselt. Überall Lehrer. Die müssen Ferien haben. Reisen mit der Bahn durch Deutschland und diskutieren mit dem Zugbegleiter über kostenlose Kaltgetränke. Verpassen ihre Anschlusszüge und geraten völlig aus dem Konzept. Manche lachen nervös. Mir gefällt das nicht.

Mittwoch, 7. Juli 2010

üben üben üben

Ich laufe in der Mittagshitze, denn abends ist es noch heißer. Außerdem ist heute Abend Fußball. Gerüche steigen aus dem Boden, was verrottet da? Vogelknöterich (Polygonium aviculare)? Ich will es nicht wissen und eigentlich auch nicht riechen. Nicht riechen und nicht hören wollen ist anstrengend, weil manuelle Hilfe nötig ist. Kann mir nicht gleichzeitig die Nase und beide Ohren zuhalten, zumindest nicht während des Laufens. Sonst schon: Mit den Daumen die beiden Ohrzäpfchen bis zum Anschlag reindrücken und die Zeigefinger seitlich fest gegen die Nasenwände pressen. Mit den anderen Fingern könnte ich mir jetzt sogar noch den Mund zuhalten, aber mein Mundwerk habe ich jetzt unter Kontrolle.
Das ist nicht immer so. Warum rutschen mir Wörter und Sätze heraus, die ich nicht sagen will? Nach so vielen Jahren gepflegter Konversation und wohlproportionierter Argumentation übernimmt plötzlich dieser kleine Dämon den Zauberstab und lässt es krachen. Ist so eine Bemerkung einmal ausgesprochen, kann sie nichts zurücknehmen. Sie steht im Raum wie ein Schrank. Groß und gemein. Daran denke ich, wenn ich laufe. Versuche, den Schrank aus meinem Gedächtnis zu schieben. Gäbe es eine Übung, wie man solche Schränke vermeidet, ich würde üben üben üben.

Montag, 5. Juli 2010

Kresse ist wohl Anwältin

Auf meiner wöchentlichen Fahrt nach Berlin sitze ich wie immer in Wagen 32. Das ist ein Ruhebereich, telefonieren und laute Gespräche sind zu vermeiden. Ein Piktogramm, bei dem ein Androgyn die Lippen schürzt und den erhobenen Zeigefinger davor hält, weist darauf hin. Psst. Viele Zuggäste wissen das und reservieren absichtlich einen ruhigen Platz. Andere Zuggäste kennen diese Regel nicht und verstoßen daher recht schnell gegen sie. Ich sitze also und lese. Hinter mir sitzt und arbeitet Frau Kresse (Lepidium sativum). Sie raschelt mit und zerreißt Papier, dann hat sie ein etwas längeres Mandantengespräch mit oder über Jürgen Schmidt über ein falsch verlegtes Heizungsrohr, das nun wieder entfernt werden muss. Außerdem hat der Handwerker den dabei anfallenden Müll nicht anständig entsorgt. Der hat einfach seinen Dreck liegen gelassen, Schutt, Kabelenden und so, Sondermüll eben. Nach einer halben Stunde wissen dann alle in Wagen 32, dass Frau Kresse selbst die Geschädigte ist. Das erklärt ihre gestresste Stimme, die jetzt leicht hysterisch zwischen den Sitzen hindurch quillt. Die anderen Zuggäste gucken schon, manche runzeln die Stirn. Wer wird es zuerst wagen, Frau Kresse zur Ordnung zu rufen? Was, wenn sie den gleichen Ton anschlägt, den sie auch ins Telefon keift? Lieber einen neuen ruhigeren Platz suchen. Auch ich ziehe Leine.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Froschmann

In der U-Bahn sehe ich den Froschmann. Er sitzt mir gegenüber in einer grün-grauen Taucherjacke, an seinem Handgelenk leuchtet digital eine dicke garantiert wasserdichte Uhr. Ob sie anzeigt, wie tief wir hier mit der Bahn in die Erde tauchen? Kann ich nicht erkennen. Flossen hat er nicht an. Leichter Gummigeruch steigt mir in die Nase. Dieser Mann atmet nicht durch eine Atemmaske und trotzdem ist etwas Mechanisches in seinem Luftholen. Er zieht die Luft tief in sich herein, dabei richtet sich sein Körper auf, die dicken Gummirollen seiner Jacke glätten sich. Beim Ausströmen der Luft sackt der ganze Mann zusammen, ein fetter Frosch. Wahrscheinlich hat er nicht das Geringste mit Wasser zu tun, sondern das Taucheroutfit ist reiner Zufall. Ich glaube, ich habe solche Jacken schon in Läden auf der Hermannstraße gesehen. Habe mir dann vorgestellt, wie sich mangels Lüftung die Körperwärme staut und wie man dann ins Schwitzen kommt. Würde der Mann den Reißverschluss öffnen, käme ein Geruch wie Stinkender Storchschnabel (Geranium robertianum) heraus und ich müsste mit dem Brechreiz kämpfen.