Sonntag, 31. Januar 2010

Mit Wolle durch den Winter (3)

Ein gutaussehender Jack Wolfskin (gelb mit schwarzen Nähten) sitzt mir gegenüber und strickt. Blaue Wolle aus weißer Plastiktüte. Da ich sowieso in seine Richtung gucken muss, fällt es nicht auf, dass ich ihn anstarre. Ihm sowieso nicht, denn er arbeitet konzentriert an einem Stück Zopfmuster oder so. Er kommt bestimmt aus einem multikulturellen Performermilieu – sieht ein bisschen schwedisch oder finnisch aus, Wasseraugen und die Ruhe der lichtlosen Wintertage. Vielleicht ist er auch eher hedonistisch subkulturell, auf keinen Fall jedoch adaptiv bürgerlich sozialisiert, sonst würde er nicht in der Öffentlichkeit stricken. Plötzlich lächelt er mich an, weil ich ganz in Gedanken versunken immer noch auf seine linken Hände schaue. Ich lächle zurück und erröte in der Farbe des brennenden Teufelsauges (Adonis flammea). Früher habe ich meinen Freunden solche Mützen gemacht, wie er eine aufhat. Im Nachhinein ist diese Post-Hippie-Zeit ziemlich cool. Oder unterliege ich wieder dem Irrtum der euphemistischen Edit-Funktion? Manchmal passiert mir das.

Mittwoch, 27. Januar 2010

monochrom


Eine angesagte Bar. Unterwegs mit M auf der Suche nach dem ultimativen Mixgetränk. Draußen ein Meter Schnee, innen weißes Leder, helle Tische aus Glimmergranit und Rauchen ist erlaubt. In silbernen Vasen schwimmen blasse Seerosen und Weiße Waldrebe (Clematis vitalba). Beeindruckt vom Ambiente bestellen wir Gintonic und Virgin Pink Mojito. Der rote Klecks in meinem Drink zieht die Aufmerksamkeit auf sich, die Minze ist gezuckert, damit sie nicht so grün ist. Am frühen Abend ist die Bar fast leer. Wir trinken, inhalieren den passiven Rauch und sind uns schnell einig in der irrigen Annahme, wir könnten durch Nähe Einsicht erfahren. Persönliche Nähe schafft meistens Missverständnisse. Nichts ist so wie man es gerne hätte. Die Gefühle rasen aneinander vorbei oder vielleicht ist nur das eigene Blut nahe dem Siedepunkt und man blubbert und hechelt und keucht, während der andere aus dem Fenster sieht. Wir bestellen Moscow Mule und Red Hot Chili Pepper. Während das Gurkengetränk in zarter Farbe daherkommt, lenkt meine Chilischote wieder alle Aufmerksamkeit auf sich. Teufel, der Drink ist scharf! Genial, nur ein Hauch Pfeffer und meine Geschmacksknospen drehen durch. Nichts ist wie es scheint.

Sonntag, 24. Januar 2010

köln_marathon

Allen Schneesturmwarnungen zum Trotz absolviere ich eine nächtliche Trainingseinheit. Die Nord-Süd-Achse führt mich weg vom Domschatten, vorbei am New Yorker, forever 18 und Miss Sixty, am gähnenden Loch von Ground Zero, des tief in den Untergrund gestürzten Stadtarchivs. Die Geschwindigkeit glüht in meinem Kopf, der eisige Wind fühlt sich an wie Monsun. Ich bin ein fuckin` Adrenalin-Junkie. Gib mir etwas Scharfes und ich fliege den Marathon. Gib mir einen Abgrund und ich springe hinunter, beiße mir auf die Lippen und schmecke das Blut. Mische es mit einigen Tropfen Goldigem Milchstern (Ornitholagum umbellatum) gegen den akuten Schmerz und die überwältigenden Gefühlsreaktionen. Wie kann eine ausgestorbene Stadt so aufregend sein?

Freitag, 22. Januar 2010

whatsoever


Meine Tochter und ihre Freundin machen Praktikum im Kindergarten. Jeden Morgen die kleinen Stühle von den Tischen nehmen und die Kids aus fünf Schichten Winterklamotten schälen. Abends mit krummem Rücken nach Hause gehen, unterm Arm die selbstgemalten Bilder, die ihr die Kinder geschenkt haben. Jeden Tag bringen sie mehr Bilder oder malen welche für sie, sie lieben sie. Sie erzählt, ein Junge sitzt den ganzen Tag neben ihr und streichelt ihr den Arm. Abends trifft sie ihren Freund. Er gibt ihr heiße Schokolade und trainiert seinen Körper, weil sie Waschbrett mag und starke Arme, die sie beschützen. Sie braucht Schutz vor der Helligkeit, sagt, ich mag die Sonne nicht. Wenn es dunkel wird, blüht sie auf, schwärzt ihre Augen und blinzelt in die künstliche Beleuchtung. Ihre Haut schimmert golden und ihr Haar glänzt wie poliertes Holz. Die Höhen und Tiefen einer suchenden Seele kann sie nur schwer nachempfinden. Warum geht jemand für zwei Jahre in den Wald? Und warum muss sie lesen, wie es dort war? Interessiert sie nicht, was dieser hässliche Mann dort gemacht hat. Wäre er von den Wölfen gefressen worden, hätte es niemand jemals erfahren. Ihr Freund sagt, die Sonne ist gut für dich. Sie schüttelt den Kopf. Er reicht ihr eine Möhre (Daucus carota), da ist auch Vitamin D drin, nimm sie!

Montag, 18. Januar 2010

Die Rolle meines Lebens


Andi erzählt mir, dass er Teilchen in Antiteilchen umwandeln kann. Auf seinen Reisen durch die intergalaktischen Systeme hat er die berühmten Hicks-Teilchen gefunden. Hicks? albere ich, wir liegen im Schnee, unsere Blicke in den dunklen Sternenhimmel gerichtet. Ein nächtliches Picknick auf einer verschneiten Wiese. Ich reiche ihm ein Brötchen. Mach mir ein Antibrötchen, Andi. Mein Scherz spornt ihn an: Er greift in seine Jacke, holt ein Hicks-Teilchen heraus und schmiert es auf das Brötchen, bis es plötzlich weg ist. Dieser Zaubertrick ist Millionen wert und schon summt sein Telefon. Ich muss weg, sagt Andi. Wir packen zusammen, er murmelt etwas von Urknall. Der Schnee ist stumpf, unser Abschied flüchtig. Ich komme wieder, sagt er. Ja, ich weiß. Ich muss mir mal überlegen, welche Rolle ich hier eigentlich spiele. Ist mein Leben in Andi- und Nichtandi-Phasen eingeteilt? Welches ist MEIN Leben? Für jene, die sehr darunter leiden, sich nicht zwischen zwei Dingen entscheiden zu können, weil abwechselnd das eine, dann das andere wichtig erscheint, gibt es den einjährigen Knäuel (Scleranthus perennis). Als könne ein Knäuel Klarheit schaffen. Dass ich nicht lache.

Freitag, 15. Januar 2010

Biene antwortet nicht


In zwei Tagen intensivem Training habe ich gelernt, ich soll wie ein Satellit um mein eigenes System kreisen. Funkkontakt nach innen, aber nicht in die Erdsoße eintauchen. Mein Fluggerät heißt Biene, weil ich dort draußen im Raum nicht vergessen will, dass es im System noch meine Bienenvolkschwestern gibt. Und dass ich, obwohl ich hier rotiere, zum großen Ganzen gehöre. Ich frage mich wie Andi das macht. Dauernd in den Galaxien unterwegs. Der Biene-Bord-Computer summt leise. Auf dem Bildschirm erscheint mein punktuelles Netzwerk. Da kann ich auch gleich aus dem Fenster gucken, wie da die Sternhaufen glitzern. Dann fällt mir auf, was nicht stimmt. Alles Grün fehlt. Was für ein Witz! Biene kann nicht landen, wenn es nirgends ein Blütenblatt gibt. Ich will wieder in mein System rein. Sofort. Will in Pfirsichblättrige Glocken (Campanula persicifolia) hineinkriechen und mich am samtigen Pollen berauschen.

Dienstag, 12. Januar 2010

Gucci


Diese Schneemassen passen gut zu Klavier. Wenn ich morgens am Landwehrkanal entlanglaufe und die weiße Fläche sehe, höre ich das gleiche Stück xmal hintereinander. Brauche die Tage ein Mantra, um mein Gleichgewicht zu halten. Nicht nur im Schnee, der so tückisch ist wie Gletscherspalten, na ja, nicht ganz. Ich stelle mir vor, ich würde in so ein blaues Eis fallen und meine Gedanken würden aufhören zu rotieren und mein Bauch würde aufhören, hohl zu sein. Mit einem Schlag wäre alles erstarrt. Es wäre ruhig. Friedlich. Bin heute Morgen von meinem Herzschlag aufgewacht. Das Herz hat gepocht, als wolle es raus. Mein Traum war die Suche nach einer Tasche. So ein typischer Frauentraum eben, Prada oder Gucci. Und das Herz war bestimmt so aufgeregt, weil die Tasche so schön war.  Oder will mir dieses laute Pochen etwas anderes sagen? Ich sollte endlich eine symbiotische Beziehung zu meinem Herz eingehen, in der Art wie Klatschmohn (Papaver rhoeas) auf Brachen wächst. Das bin ich ihm eigentlich schuldig.

Montag, 11. Januar 2010

Blödes Schaf


Meine Freundin meint ich wäre ein blödes Schaf, manchmal. Sie ist die Einzige, die mir das sagt, darüber bin ich ziemlich froh. In meiner genügsamen Schafmentalität grase ich den anderen Tieren schon mal das Futter weg. Uuups… Ich merke das schon, nur meistens zu spät. Erstaunt blicke ich in ärgerliche Gesichter. Auch in Gesprächen verwende ich viel seltener den Konjunktiv. Meine Tochter ist da geschickter, sie sagt nie direkt nein, so wie ich, wenn ich etwas nicht will. Sie macht durch viele Blumen hindurch klar, dass sie irgendwie nicht so richtig ….. möchte. Ihre Körperhaltung wird defensiv und ihr Gesprächspartner kann daran erkennen, dass er ein Nein kriegt, kann sich mental darauf einstellen und ist Bruchteile von Sekunden vorgewarnt. Das reicht. Wahrscheinlich ist das wieder die typische Mutter-Tochter-Sache, natürliche Abgrenzung ins Gegenteil. Da, wo ich mit der Tür ins Haus falle oder spontane Entscheidungen treffe, die ich hinterher bedaure, da ist sie ganz cool. Ich bewundere das. Seit mir das klar ist, lasse ich mich bei großen Entscheidungen von ihrer Einschätzung leiten. Wenn ich es in meiner Einfältigkeit nicht vergesse. Mäh! Ich sollte mehr Kornblumen (Centaurea cyanus) essen, die sorgen für Weitblick.

Donnerstag, 7. Januar 2010

Weiß, hart

Beim Joggen im Schnee bin ich heute vom Weg abgekommen. Plötzlich ist alles weiß, keine Markierung oder Landmarke weit und breit. Ich laufe nach gefühlter Orientierung in südliche Richtung, dort müsste eine Straße sein. Es ist auch so seltsam ruhig, nur meine Schuhe machen vertraute Geräusche. Ich bleibe stehen und lausche. Nichts. Bevor mich irgendeine Form von Panik handlungs- und bewegungsunfähig macht, entscheide ich, einfach weiterzulaufen und diese Raum-Zeit-Verschiebung zu ignorieren. Nach einer halben Stunde lässt mich meine Kondition im Stich. Ich muss anhalten und wieder dröhnt die Stille. Hm. Die Straße war noch nicht. So groß ist der Park nicht, höchstens man läuft im Kreis. Wo sind die Bäume? Ich überlege, ob ich eventuell träume. Doch das nützt nichts, denn ich weiß nicht, wie ich aus diesem Traum herauskommen könnte. Ich werde hier jämmerlich erfrieren. Der Schnee wird mich sanft zudecken und morgen bin ich ein Stein in der Landschaft, an den einer dieser verratzten Drecksköter pisst. Ich denke an Frühling und blühende Bergwiesen. Ein einzelner Baum taucht auf: Bergahorn (acer pseudoplatanum), seine Rinde ist weiß, hart.


Montag, 4. Januar 2010

Alaska


Stundenlang könnte ich durch diese gefrorene Stadt laufen. Alles ist starr. Aus Wasser ist Eis geworden, ich sehe Schwanen- und Schiffskörper darin stecken. Ob sie noch leben? Unter meinen Stiefeln knirscht der Schnee, vor meiner Nase eine Wolke aus schwerem Atem. Die Musik in meinem Ohr macht mich glücklich, meine Tochter sagt, hab ich dir doch gesagt. Ich stelle mir vor, ich bin auf einer Trekkingtour durch Alaska und blende die Häuser aus. Da sind jetzt Berge und Ebenen mit gletscherwassergrünen Flüssen, die ich nicht überqueren kann. Ratlos stehe ich auf den Kieseln. Wo soll ich hin? Egal, in Bewegung bleiben, sonst friert mein Herz ein. Das pocht so stark. Stimmt etwas nicht? Es ist aufgeregt und hat den Grund dafür noch nicht herausgefunden. Aus meinem Rucksack hole ich ein Stück Nelkenwurz (Geum urbanum) und beiße hinein. Muss weinen, so bitter ist er. Ich weiß, er erhöht die psychische Widerstandskraft und ich glaube daran.

Freitag, 1. Januar 2010

Red Love


Ganz nach meinem Geschmack ist der Cocktail Red Love, eine Mischung aus Bitter, Herb und Rot. Ich trinke ihn zurzeit bei jeder Gelegenheit – was nicht so oft ist, weil ich eher selten in Bars gehe. Eine Zeitlang bin ich ständig in dieses ehemalige Etablissement in Bonn gegangen und habe Strawberry-Margaritas getrunken, bis ich innen ganz kalt war. Die Atmosphäre dort war spitzenmäßig, alles Plüsch und eine klitzekleine Tanzfläche mit Spiegelkugel obendrüber. Damals war mein Andi ein Christian und sein Körper war einfach umwerfend, so in der Art halbnackter Gärtner, wie er zurzeit in der Maggi-Fix-Werbung kommt und ein paar handgeschnittene Kräuter und süße kleine Wald-Erdbeeren (Fragaria vesca) auf die Küchentheke legt. Neulich war ich in Berlin in einer Bar, da hatten alle Männer Schals um den Hals gewickelt. Zwar waren draußen minus 15 Grad, aber drinnen war die Bar geheizt und es gab keinen Grund, einen Schal zu tragen. Turnt ja irgendwie auch total ab, so ein Mann mit Schal. Da wir an dem Abend eine lustige Mädchengruppe waren, haben wir kichernd abgelästert und darauf dann noch mal eine Runde Cocktails bestellt. Die Musik war auch nicht so ganz nach unserem Geschmack, also haben wir uns beim DJ The Killers are we human? bestellt und als er es endlich spielte, haben wir getanzt, obwohl das in dieser Bar gar nicht vorgesehen ist.