Mittwoch, 29. September 2010

Nackt im Park

 
Die letzten warmen Strahlen treffen auf gebräunte Leiber. Ich starre hin obwohl ich sonst keine Spannerin bin. Es wäre nicht richtig, die Nackten unter ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten, aber die Frage wirft sich mir vor die Füße, bevor ich sie wegtreten kann. Sehen die nun gut aus oder nur ungewohnt. Wenn in der Hasenheide Ende September Menschen nackt auf der Bank sitzen, ist das schon was zum Hingucken, finde ich. Sie lachen fröhlich und winken mir zu. Schüchtern hebe ich die Hand zum Gruß. In der anderen Hand habe ich Eicheln (Quercus robur) gesammelt. Dann sagt einer zu mir, hey ist dir nicht warm so ganz in schwarz. Ich ziehe meinen Mantel aus und meinen Schal von den Schultern. Die Sonne scheint in meinen Nacken. Das ist doch ein Anfang sagt ein anderer, aber ich gehe vorbei. Falsch, denke ich, das ist alles.



Montag, 27. September 2010

Panik

In meinem Traum bin ich chaotisch und desorientiert. Ich buche aus Versehen zwei Hotelzimmer und da ich sie auch bezahlen muss, bewohne ich sie beide. Überall liegen meine Sachen rum, Kartons mit Schuhen, Kleider, die ich noch nie gesehen habe und Zeugs, das einfach nicht mehr in meine Koffer passt. Irgendwo ist auch der Spaß, doch er ist schwer zu finden unter der Verwirrung und der Überforderung mit der Frage, wie ich das alles wieder zusammenkriegen soll. Das Zimmermädchen gießt die Zimmerlinde (Sparrmannia africana) und sieht mich mitleidig an. Hat je schon einmal jemand Mitleid mit mir gehabt. Nicht dass ich wüsste. Warum auch. Aber hier im Traum tröstet es mich. Wie eine warme Dusche wäscht es die Panik von mir ab. Ist mir doch egal, dass ich heute eigentlich abreisen muss, es aber nicht schaffen werde, die beiden Zimmer zu räumen. Dass ich den Flieger verpassen werde und ich nicht weiß, ob ich noch Geld habe. Dass ich vielleicht für immer in diesem Hotel festsitzen werde. Bis der Hotelfriseur meine Locken rosa färbt und mein Mund ganz faltig ist.

Samstag, 25. September 2010

Berlin-Marathon

Neee, ich laufe nicht bei denen mit. Ich renne auch heute wie gewohnt durch die Hasenheide und trainiere auf winterhart. Wie meine Lieblingsstaude Echter Salbei (Salvia officinalis), dessen Blätter im Winter trocken und leblos knapp über dem gefrorenen Boden liegen, dessen Wurzel aber tief im Erdreich vom Grundwasser versorgt wird. Der Park-Ranger überholt mich dreimal auf dem Fahrrad und blinzelt mir zu. Mein Lächeln sieht wahrscheinlich ziemlich gequält aus. Die Muskeln verkrampfen vor Schmerz, mein Magen kippt. Egal. Dieses mich an die Grenze bringen gehört irgendwie dazu, woher sonst will ich wissen wozu ich fähig bin. Die Abhärtung für den Winter ist eigentlich nur notwenige Bewegung und könnte völlig überhöht metaphysische Erneuerung gegen das Zugeständnis der Materie an ihre Endlichkeit bedeuten. Den Winter und die Kälte stehe ich durch, wenn ich weiß, dass ich zwei Stunden rennen kann. Wenn der Lauf zur Erfüllung wird und die Tage nur aufeinanderfolgen, damit ich wieder laufen kann.



Donnerstag, 23. September 2010

Fantasiebiest

Beim neuen Sound von Trentemøller hebe ich plötzlich ab, yeah. Propellermäßig rotieren meine Gedanken um das Unmögliche bzw. die Sehnsucht nach dem was nicht möglich scheint. War ich nicht schon immer der Meinung, dass die Vorstellung vom Nicht Machbaren schöner ist als zu versuchen, das nicht Machbare zu erreichen. Daran verzweifeln die meisten, ich nicht. Wenn es mir gelingt, das Gewünschte nachts in einen Traum zu bringen, gibt es kein Halten mehr, dann hat das Unterbewusstsein Feuer gefangen mit grünen Funken auf Blauroten Steinsamen (Lithospermum purpureo-coeruleum). Ein paar Male bin ich geflogen, unübertroffen. Einmal habe ich Keanu Reeves geküsst und einmal Moritz Bleibtreu, ok. Über die ganz harten Sachen schreibe ich hier natürlich nicht, dazu fehlt mir der Mut. Obwohl sie, weil Grenzerfahrungen, die virtuellen Sahnestückchen im Nichterlebten sind. So kann Wirklichkeit gar nicht sein.



Dienstag, 21. September 2010

Mach schon mal Abendbrot!

Der Mann will bedient werden, wenn er nach Hause kommt. Also sagt er in der U-Bahn per Mobiltelefon schon mal an, was er essen will: Stullen mit Camembert und Salami. Alle um ihn herum grinsen ob der klaren Ansage und stellen sich vor, wie wohl der oder die aussieht, der/die zack zack spuren muss. Er selbst ist so einer auch bei Regen weiße Hose Tragender mit offenem Hemd und Goldkettchen auf der Hühnerbrust. Schnell noch mal die Wettscheine checken und die Spiegel der Pilotenbrille polieren. Entweder er wird von einem ebenso hageren, aber deutlich jüngeren Mann erwartet oder die Schnittchen werden von einer pummeligen Lebensabschnittsgefährtin mit schwarz gefärbten Haaren und diversen Piercings zurechtgemacht. Der Mann kommt also gleich nach Hause und dann essen sie die belegten Brote und trinken dazu Bier aus Plastikflaschen. Würde mich interessieren, ob es Gürkchen und Petersilie (Petroselinum crispum) dazu gibt.

Mittwoch, 15. September 2010

Bereitschaf

Heute war tatsächlich Sonne in der Hasenheide und eine Herde Schafe zog über den Columbiadamm raus aufs Tempelhofer Feld. Wie die Autos auf den Nebenstraßen in abgelegenen Bergtälern geduldig warten, bis der Auf- oder Abtrieb vorbei ist, standen auf der vierspurigen Traverse nach Neukölln alle Fahrzeuge ein paar Minuten still, bis die Schafe auf der anderen Seite waren. Das waren keine Stadthunde, die sie getrieben haben, die waren echte Schäferhunde. Ich frage mich, wie die Tiere überhaupt bis mitten rein gekommen sind. Ja, der Schäfer hat sie geführt, wahrscheinlich über die S-Bahn-Trassen, aber warum? Wächst um die ehemaligen Startbahnen besonders gutes Gras (Poaceae)? Vielleicht gibt es unter Schäfern einen unausgesprochenen Wettbewerb über die coolsten Fressplätze, Verlustvarianten eingerechnet. Die Chancen stehen gut, dass sie die Nacht überleben. Füchse gibt es viele, aber die reißen keine Schafe. Wölfe gibt es glaube ich nicht.

Samstag, 11. September 2010

lyrics

Sind grüne Hortensien schön oder geschmacklos. Der Mann, den ich sonst nicht ausstehen kann, überreicht mir eine grüne Hortensie (Hydrangea). Er meint es ehrlich, nur was? Da scheint so etwas wie echte Sympathie in seinem Blick zu liegen, warum sieht er mich so an, er hasst mich doch auch. Ich versuche ein Lächeln, gut dass wir nicht alleine sind. Die vielen Menschen um uns sind mit Unschärfe überzogen, auch ihre Geräusche dringen nicht ganz zu mir durch. Meine Konzentration liegt auf der wartenden Haltung dieses Mannes, nicht fordernd oder ungeduldig, eher erwartungsvoll und freundlich. Ich sage einen Satz. Er scheint ihn wohlwollend aufzunehmen. Seine Augen sind grün, ich dachte grau, seine Wimpern sind lang und seine Hände feingliedrig. Er trägt schwarze Chinos, ich dachte braune Cordhosen, sein Körper ist so, wie er mir bei Männern gefällt. Mein Gehirn rotiert oder ich glaube, das ist nicht das Gehirn. Er antwortet auf meinen Satz und sagt noch was dazu. Ich lache jetzt, das ist wie eine Befreiung. Wir stehen inmitten dieser Menschenmenge und grinsen uns an.

Dienstag, 7. September 2010

Im Wald mit der Familie

Schon als Kind kroch ich mit meiner Familie durchs Unterholz. Kaum hörte der Augustregen auf und erste Nebel verhüllten den Rhein waren wir unterwegs zum Pilzesuchen. Wobei wir immer welche fanden, weil wir die geheimsten Stellen kannten. Onkel Karl war Förster und Spezialist für Steinpilze und Pfifferlinge. Früher hat man sein Wissen noch nicht ans Internet verkauft oder wurde von Google Earth dabei beobachtet, wie man die handtellergroßen Spezialitäten aus dem Wald schmuggelt. Dann war ja auch lange Tschernobyl und die Pilze radioaktiv verseucht. Außer die aus dem Supermarkt. Die Familientradition habe ich unhinterfragt fortgesetzt. Kaum war meine Tochter sechs Wochen alt, trug ich sie ins Silbermoos (Bryum argenteum) und ließ sie die schweren Pilzdüfte atmen. Mit hochgesteckten Haaren und lustig bunten Gummistiefel läuft sie heute souverän querfeldein und kann ohne zu zögern Röhrlinge von Maronen und Stierlingen unterscheiden. Niemals würde sie einen Wiesenchampion mit einem Knollenblätterpilz verwechseln. So wie neulich diese Korbträger in Brandenburg. Sind fast dabei verreckt, diese Idioten.

Freitag, 3. September 2010

Spinnst du?

Die junge Frau vor mir spricht mit sich selbst. Mit gedämpfter Stimme scheint sie in eine heftige Auseinandersetzung verstrickt zu sein. Sie schaut auf ihr Spiegelbild im Fenster und zischt: Spinnst du? Immer wieder, in verschiedenen Tonlagen. Ihre Körperhaltung ist angespannt, sie gestikuliert verhalten mit ihren Händen. Ich frage mich auch manchmal, ob ich spinne, allerdings im Stillen. Noch öfters frage ich mich, ob andere spinnen, wahrscheinlich fragen die sich das auch. So spinnen alle irgendwie herum, lassen ihre Fäden durch den Spätsommer fliegen und streichen sich irritiert über das Gesicht, weil sie die unsichtbaren Fäden kitzeln wie Elfenflügel, fein wie das Zwerg-Mauseschwänzchen (Myosurus minimus).