Sonntag, 28. November 2010

Yucca

Verbringe wieder eine Nacht im Hotel, mitten in der City. Obwohl mein Zimmerfenster (wie immer!) direkt über dem Hoteleingang an der Straße liegt, ist es mucksmäuschenstill. Schon auf dem Weg in diese Herberge ist mir etwas mulmig, weil  mir auf der Strecke zwischen Bahnhof und Zieladresse kein einziger Mensch und nicht ein Auto begegnen. Keine Lichter in den Häusern und die Straßenlaternen schaukeln im kalten Wind. Mein Mobiltelefon sagt mir Ziel erreicht und die City-Hotel-Leuchtreklame leuchtet auf. Ist heute Fahrverbot oder Ausgangssperre? Gab es einen Giftmüllunfall in der Nähe und die Luft, die ich atme, ist verseucht? Schnell trete ich ein. Ein freundliches Kneipenambiente empfängt mich. Hinter dem Tresen, der gleichzeitig auch Empfang ist, steht Andi. Andi? frage ich. Doch der Mann sieht ihm nur ähnlich und lacht freundlich, erzählt mir sofort wo er geboren ist, dass seine Freundin das Frühstück machen wird und dass er sechs Föhne zum Ausleihen hat. Ich überlege, neulich hatte ich Alaska, also nehme ich Carrera. Der Andiähnliche führt mich in mein Zimmer, zeigt mir, wie warm er die Heizung aufdrehen kann, voll bis auf drei. Als er wieder weg ist drehe ich schnell zurück. Mein Bett steht in einem Wald aus Palmlilien (Yucca), das ist ganz schlechtes Feng Shui. Nach einer Stunde habe ich das Zimmer so umgeräumt, wie es mir gefällt. Es ist immer noch unheimlich ruhig.

Mittwoch, 17. November 2010

Stummfilm reloaded

Die langen Fahrten im Zug werden immer unterhaltsamer. So was wie Langeweile gibt es nicht. Wenn ich keine Lust zu reden habe oder mein Buch mich nicht fesselt, schaue ich einfach die Streifen mit, die sich die Jungs so reinziehen. Es sind immer Männer, jüngere und ältere. Die gucken Filme, für die würde ich wahrscheinlich nicht ins Kino gehen, Shutter Island zum Beispiel oder Machete. Letzterer ist ein wahrlich blutrünstiger Streifen, schon in den ersten zwanzig Minuten werden so an die fünfundzwanzig Personen abgeschlachtet. Eine hängt in einer Aloe (Aloe) fest. Neben Steven Seagal spielt auch Robert de Niro mit, scheint also eher einer der besseren B-Movies zu sein. Alle Männer in Machete haben an ihrer Seite extrem junge Mädchen, die attraktiv und unschuldig aussehen, auch nackt. Tatsächlich sind sie mit allen Wassern gewaschen und kennen sich hervorragend mit Schusswaffen aus. Weil ich ja die Dialoge nicht hören kann, erschließt sich mir nicht, was sie an den alten Typen finden. Eine ziemlich unangenehme Art der Emanzipation muss das sein. Oh Mann, jetzt interpretiere ich den total falschen Sinn in diesen Machetenfilm. Eine Machete ist schließlich kein Samuraischwert und da kann ich nicht erwarten, dass dahinter so etwas wie eine Philosophie steckt.

Samstag, 13. November 2010

grausam

Es regnet ohne Unterlass,
es regnet immerzu.
Die Schmetterlinge werden nass,
die Blümlein (Anemone hepatica) gehen zu.
Kleiner roter Falter
komm ach komm zu mir,
aber deinem Brüderlein
schließ` ich zu die Tür.

Dienstag, 9. November 2010

Kontakt mit dem Adel

Würde ich im Zug einen Grafen kennenlernen ohne zu wissen dass er einer ist, ich würde ihn an der eng geknüpften Weste und am unprätentiösen Gebrauch der lateinischen Sprache erkennen. Immer einen flotten Kommentar auf Lager. Und so viel Selbstbewusstsein, so viel Verantwortung für das Gemeinwohl und immens viel Interesse an den Gepflogenheiten des einfachen Volkes. Ethische Grundsätze stehen vor dem simplen Bedürfnis nach profanem Gelderwerb, schließlich macht es (das Geld) nicht mal glücklich und man kann auch seinen maroden Landsitz nicht davon instand halten. Verarmter Adel also, ja klar, zweite Klasse Fensterplatz. Nach drei Stunden miteinander fahren bin ich davon überzeugt, dass sein Geldmangel sich völlig anders anfühlt als meine Geldnot. Er fühlt sich als Spross eines umfangreichen Stammbaums nämlich trotzdem reich. Wie ein Pfennigbaum (Crassula ovata), dickblütig und widerstandsfähig. Die wachsen sogar auf der steinigen Lavaerde vulkanischer Inseln. Also exotisch trotz einheimisch. Ist schon ulkig so ein Graf.

Montag, 1. November 2010

Phantom

Kaum bin ich aus dem Büro raus sind meine Rückenschmerzen weg. Ganz vorsichtig habe ich mich den ganzen Tag bewegt, stehend telefoniert und immer wieder in die Küche oder zum Kopierer gelaufen, um dieses und jenes zu kopieren, Tee zu machen, die Pflanzen zu gießen. Mein Ficus ist kurz vor dem Exitus, die Palme sieht auch nicht gut aus, nur der Kaktus (Cactaceus) wächst und wächst. Eine zwei Meter hohe Säule, die meine geschäftlichen Aktivitäten schon seit Jahren stoisch begleitet. Ab und zu etwas Wasser reicht völlig. Sobald ich mich hinsetze, sticht ein Schmerz in mein Kreuz. Mein Körper sagt mir ich soll nicht sitzen. Meine Ärztin sagt mir, ich soll auf meinen Körper hören. Es gibt ja diese Stehpulte in den Schickimickibürokatalogen. High Level Working Units. Daran lehnen sich elegant gekleidete Büromenschen und schauen interessiert in aufgeklappte Laptops. Ich glaube, vom langen Stehen kriege ich auch Rückenschmerzen. Ich könnte zum Bäcker gehen und mir ein Brötchen holen. Kaum bin ich aus der Tür, fühle ich wie die Energie fließt und den Schmerz mitreißt. Ich setze mein Headset auf und telefoniere meine Liste runter. Es ist ein schöner Herbst hier im Park.