Die totale optische und auch ansonsten kognitive Täuschung
ist Reiseis. Das nach Rosenwasser duftende Häufchen Halbgefrorene verspricht
eine zarte Berührung mit der Zunge. Die weiße Farbe suggeriert Reinheit und Unschuld,
die gedankliche Verbindung von Reis mit Süß weckt Kindheitserinnerungen an Mamas
Milchreis (das ist nicht für alle eine schöne Erinnerung, ich weiß). Ich sitze also
mit meinem Freund, dem Ex-Banker im Gartenlokal und freue mich wie eine
Prinzessin auf das Dessert. Ich kann die Augen gar nicht von ihm abwenden, denn
er trägt seine Haare jetzt schulterlang und sieht aus wie früher Winnetou. Ich
habe Winnetou geliebt. Und irgendwie mag ich lange Haare bei Männern, aber
natürlich nur wenn sie glänzen wie die Blütenblätter der vortrefflichen Tulpe (Tulipa praestans). Die Leute, die an
unserem Tisch vorbei gehen, schauen uns an. Jetzt wird das Reiseis serviert.
Der erste Bissen bleibt mir im Hals stecken, mein Gehirn rebelliert. Spuck aus!
brüllt es, doch meine Manieren siegen und ich schlucke einmal. Die Kellnerin
schickt den Koch raus, der erklärt die Authentizität der Nachspeise und der
Ex-Banker muss sich beherrschen ihm nicht das Tellerchen auf die Schürze zu
schmieren.
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