Sonntag, 25. Oktober 2009

Dr. Katja Berg

Eine Frau sitzt mir gegenüber, Dr. Katja Berg. Sie hat leuchtend blaue Augen, kurzes aschblondes Haar und ein Lächeln auf den Lippen. Ihr Alter ist schwer zu schätzen, denn ihre Haut ist glatt, ihr Ausdruck heiter. Ich weiß wie sie heißt, weil ich kurz auf ihre Fahrkarte geguckt habe. Als sie einstieg, habe ich sie für eine Nonne gehalten. Sie trägt so ein schwarzes kuttenförmiges Kleid und einen Trenchcoat. Sind Nonnen promoviert? Den Gurt ihrer Handtasche hat sie quer über ihre Brust gelegt, das sieht unbequem aus, aber sie bleibt die ganze Zeit über still so sitzen. Sieht aus dem Fenster, die Hände im Schoß. Was wohl in der Tasche ist? Das Herz Jesu, frisches Geld aus dem Automaten oder geweihte Hostien aus der Klosterbäckerei? Vielleicht auch ein geheimes Rezept der Hildegard von Bingen, ein Prototyp für eine Salbe aus dem Sumpf-Blutauge (Comarum palustre), das sich ganz christlich keusch ungeschlechtlich durch den schwach verholzten Wurzelstock vermehrt.

Dr. Berg fährt von Bielefeld nach Hannover, außer ihrer Handtasche hat sie noch einen kleinen roten Rollkoffer dabei. Wahrscheinlich ist sie keine Nonne. Viel eher ist sie Anwärterin für den Nobelpreis für Biochemie oder Astrophysik, da machen einen die kleinen Teilchen glücklich – und genau so sieht sie aus: zufrieden, eins mit sich, ruhig. Ich könnte sie mal googlen. Als Dr. Berg wieder aussteigt, sagt sie freundlich Tschüs zu mir. Ich stammle ein auf Wiedersehen.

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